Watteweich

Gestern hielt sich der Hochnebel den ganzen Tag über. Heute erwartete uns ‚peasoup‘ Wetter. Dicker Nebel waberte über der Elbe. Es war erstaunlich still, denn bei solchen Wetterverhältnissen verlässt man sich noch immer auf die Ohren. Die Schiffshörner tuten laut und vorsorglich. Aber heute Morgen war wohl niemand unterwegs. Die Hafenfähren hielten tapfer Kurs. Ich denke, sie haben Zugang zum Hafenradar, der jedes Schiff metergenau auf seiner Position zeigt. Einzig die Möwen stießen laute, heisere Schreie aus, aber das machen sie auch bei Sonnenschein. 

Der Wetterbericht machte keine Hoffnung auf Änderung bis zum Abend. Das wird ein nebliger Tag werden, dazu unangenehm kalt. Aber was soll’s? Machen wir das Beste und daraus und nutzen die Gelegenheit. Ich packte also die Kamera ein, zog Schal, Mütze und Handschuhe an und machte mich auf den Weg. Kaum war ich am Dalmannkai, wo ich ein paar Angler an der Strandkai-Spitze sah, die ich fotografieren wollte, da sprach mich auch schon eine nette Frau an, die, genau wie ich ihren Morgenspaziergang machte. „Entschuldigen Sie meine Neugierde, aber was fotografieren Sie, wo doch gar nichts zu sehen ist?“ Eine sehr berechtigte Frage und schon waren wir im Gespräch. Ich erzählte ihr von meiner Lust am Fotografieren und sie teilte mit mir ihre Freude am Malen. So ist das hier in der HafenCity, man kommt schnell ins Gespräch und macht nette Bekanntschaften.

Einen Augenblick überlegte ich, ob ich auf die Plaza in der Elbphilharmonie gehen soll, vermutete aber, dass ich von dort oben nur wenig erkennen würde. Dann sah ich aber die vielen Leute, die sich vor dem Eingang drängten und der Besucherstrom riss nicht ab. Offensichtlich gab es eine Morgenveranstaltung, die gut besucht war. In so einem Fall gibt es einen Ort, an dem man oftmals ganz alleine sein kann, nämlich auf der Kehrwiederspitze. Von dort hat man einen wunderbaren Blick auf den Niederhafen, wo die Passagierschiffe liegen, die die Hafenrundfahrten anbieten. Dahinter sieht man den Bahnhof Baumwall und das Hochbahn-Viadukt mit den Gleisen, die unmittelbar an der Hafenkante entlangführen. Und man sieht die Überseebrücke und den Frachter ‚Cap San Diego‘, aber nicht an diesem Morgen, denn der ist im Nebel nicht auszumachen. 

 

 

Es sind nur wenige Touristen unterwegs. Kein Wunder, denn viel zu sehen gibt es an diesem Morgen nicht. Der Nebel liegt wie eine Wolke auf dem Boden und wir laufen mitten hindurch. Gleich zwei Frauen kommen mir entgegen, die ihren Regenschirm vorsorglich geöffnet über dem eigenen Kopf halten. Wollen Sie damit den Nebel abwehren? Oder ist ihnen die Luftfeuchtigkeit unangenehm, die zwangsläufig bei diesen Umständen maximal hoch ist? Ich vertraue auf meine Wollmütze, die Ohren und Gedanken warm hält. Ganz plötzlich habe ich ein paar Gedichtzeilen im Kopf: „Seltsam, im Nebel zu wandern; Leben ist Einsamsein. Kein Mensch kennt den anderen, jeder ist allein.“ War das von Hesse? Ja, ich glaube schon. Als er das erdacht und empfunden hatte, war er sicherlich nicht in einem Hafen wie Hamburg unterwegs. Eher in einem stillen Vorort mit schönen Häusern, hohen Hecken und gepflegten Grünanlagen. Dort kann es sehr einsam sein, aber an den Landungsbrücken, in Downtown, ist immer etwas los. Mir wird langsam kalt und ich mache mich auf den Weg nach Hause. Musik klingt zu mir herüber. Ein Mann spielt auf der Niederbaumbrücke Akkordeon. Er spielt es meisterlich gut und ich habe ihn schon oft hier gesehen. Immer vergesse ich Kleingeld mitzunehmen, denn ich würde ihm gerne ein paar Euro geben. Seine Melodien machen mir Freude, heben die Stimmung, solange man ihn spielen hört. Am liebsten würde ich mitsingen, aber ich traue mich (noch) nicht. Als ich an ihm vorbeigehe, treffen sich unsere Blicke und er nickt mir freundlich zu. Er hat mich erkannt, kann sich erinnern, dass wir uns schon öfter begegnet sind. Komisch, aber es scheint wichtig zu sein, dass andere einen wahrnehmen. Sofort schwimmt man in fröhlicher Stimmung. Die Moral des Tages ist gefunden: Schenken wir uns doch alle noch viel häufiger ein freundliches Lächeln.