An der Esplanade

Ich hatte gedacht, das Wort würde aus dem Spanischen kommen, aber da hatte ich mich geirrt. Der Engländer kennt das Wort ‚esplanade‘ und meint damit eine Promenade. Aber das wird man kaum im Londoner East End hören, denn es ist ein bißchen abgehobener Sprachgebrauch. Für den Franzosen gilt dasselbe, auch er meint damit die Promenade. Schließlich fand ich dann doch noch die Wortwurzel, natürlich war sie im Lateinischen versteckt, nämlich in dem Begriff ‚explanare‘, der die Bedeutung des Glättens (eines Platzes) beinhaltet. Muß man das wissen? Ja, denn es hat mit der Hamburger Straße ‚Esplanade‘ unmittelbar zu tun und führt uns erst einmal in die Hamburger Geschichte zurück. Hier an der Esplande war eine der vielen Wall-Festungen aufgebaut, von denen man immer freien Blick auf das Vorland hatte. Das war extrem wichtig, denn im Fall eines Angriffs wurde von den Festungen aus zurückgeschossen und um das treffsicher machen zu können, benötigte man einen ‚glatten Platz‘. 

 

Auf der Esplanade ist eine original englische Telefonbox aufgestellt. Die roten Dinger sind sogar in London eine Rarität. Man hat sie eigentlich nur noch für die Touristen, damit sie ihre Fotos machen können. Oder man kommt gleich zu uns, denn das geht auch in Hamburg.

 

Gegen die Franzosen half der schöne Festungswall allerdings auch nix, sie marschierten einfach durch und machten erst auf dem Stephansplatz Halt. Das war vor gut 200 Jahren. Warum, so fragten sich die praktisch denkenden Hamburger Kaufleute, stecken wir das schöne Geld in nutzlose Verteidigung? Wenn wir den Feind damit nicht aufhalten können, dann brauchen wir keinen Wall. Und so ließ man dann die ganze Anlage schleifen; eine Bastion nach der anderen, bis man Mitte des Jahrhunderts damit fertig war. Damit war viel Platz geschaffen geworden für neue Häuser. Ein Fall für die Hamburger Baudirektion. Die beauftragte dann Carl Ludwig Wimmel mit der Neubebauung der Esplanade. Der Architekt Wimmel stammte aus Berlin und kannte sich deshalb mit Prachtstrassen aus. Vielleicht dachte er an die Allee ‚Unter den Linden‘, als er seinen Plan entwarf. Mehrgeschossige Häuser, beidseitig geschlossene Strassenfassade und in der Mitte eine Baumallee. Das war Wimmels Masterplan und den erkennt man noch heute, wenn man auf der Esplanade steht.

Der Dichter und Romantiker Heinrich Heine, der seit 1816 in Hamburg lebte, schrieb über die neue Esplanade: „Da lässt sich’s gut sitzten und da saß ich gut, gar manchen Sommernachmittag.“ Heine war gewiß häufig in der Esplande, denn im Haus Nr. 39 lebte seine Schwester Charlotte Embden. Sie galt als eine ‚Salonnière‘, womit (meisten) alleinstehende, vermögende Damen bezeichnet wurden, die ihr Haus für Treffen von Künstlern aller Art zur Verfügung stellten und während deren Vorträge ihre Gäste mit ausgesuchten Kuchen und besten Bohnenkaffee verwöhnten. Charlottes Ruf muß legendär gewesen sein, denn immerhin machte sich die Kaiserin Elisabeth die Mühe, bei ihr in der Esplanade vorbeizuschauen. Sissi hoffte wohl auf eine Begegnung mit dem berühmten Bruder Heinrich, den sie über alles verehrte. Womit bewiesen wäre, dass ‚Fan-Tourismus‘ keine Erscheinung der Neuzeit ist.

 

Durchs Teleobjektiv kann ich das Alsterhaus am Jungfernstieg sehen. Davor ist die Terrasse des Alsterpavillions schon voller Touristen. Noch sind Ferien. Die Alsterdampfer warten auf Gäste.

 

Heute steht an der Stelle, wo Charlotte Embden gewohnt hatte, das Burmah Haus. Eines der markanten Hochhäuser, vielen Hamburgern noch immer als BAT-Haus bekannt. Es wurde 1960 gebaut und ich kenne es gut, denn mein Vater hatte dort sein Büro. Und besonders erinnere ich mich noch immer an den Mai 1965, als ich schulfrei hatte und bei hochsommerlichen Wetter am Straßenrand der Esplanade Nr 39 (!) stand. Wieder wurde eine Herrscherin erwartet, erneut hieß sie Elizabeth. Ja, es war der Staatsbesuch der englischen Königin, der besondere Bedeutung hatte, denn es war die erste Annäherung nach dem Krieg. Mein Vater hatte mich ganz nach vorne geschoben und beruhigte mich, denn schon damals war ich irgendwie weitschauend veranlagt. Mich trieb die Frage um, ob die Königin denn auch zu mir sehen würde oder ob ich nicht lieber auf die andere Straßenseite wechseln sollte. Dass die hohen Gäste permanent nach links und rechts winkten, hatte ich längst spitz bekommen. Woher sollte man wissen, wann sie wohin schauen würden? Mein Vater war sich ganz sicher was passieren würde, denn die BAT war eine bedeutende britisch-amerikanische Tobacco Company. Ganz gewiß würde der Bürgermeister den hohen Gast auf das neue Hochhaus und dessen Mieter aufmerksam machen. Und so kam es dann auch. Die Queen und ihr Mann Philip fuhren im offenen Wagen an mir vorbei, keine zwei Meter entfernt. Ich glaube sie haben mich tatsächlich wahrgenommen. War das etwas der Grund für meine heutige Begeisterung für alles was England zu bieten hat? Schade, dass das London Fieber bei mir erst fünfzig Jahre nach der ‚Infektion‘ ausbrach, aber manchmal dauert es eben etwas länger. „Je oller desto doller“ oder übersetzt für meine britischen Freunde: „There’s no fox like an old fox.“ 

Die Esplanade ist keine lange Straße und schon stehe ich an der Ecke ‚Neuer Jungfernstieg‘. Wow! Was für ein Anblick. Natürlich wußte ich das ich hier die Binnenalster sehen würde, aber wenn sich dann die weite Fläche mitten in der City vor einem öffnet, dann geht mir jedesmal das Herz auf. Drüben, vor dem Hadag-Gebäude, schießt die Alserfontäne ihr Wasser in die Höhe und ganz hinten sehe ich das Alsterhaus und die fünf Kirchtürme, die das Stadtbild seit altersher prägen. Ein Alsterdampfer zieht seine Bahn in Richtung Aussenalster. Vorher muß er sich ducken, um unter der Lombardsbrücke hindurch zu kommen. Ja, hier ist Hamburg prachtvoll. Ich genieße die Sonne und verweile eine ganze Zeit.

Meine Tour ist damit schon beendet. Einen kleinen Schlenker will ich mir allerdings doch noch gönnen. Eigentlich muß ich ja nur ein Stück weiter gehen, immer am rechten Ufer der Binnenalster entlang. Und dann sehe ich schon die goldenen Lettern in der Sonne blitzen. Hier ist das Hotel Vier Jahreszeiten zu finden. Das Grand Hotel Hamburgs, eines der besten der Welt. Friedrich Haerlin fing hier mit elf Zimmern an, das ist jetzt genau 220 Jahre her. Gut, dass das Haus alle Wirren überstanden hat. Ich habe es immerhin schon zwei- oder dreimal in die Konditorei des Hotels geschafft, wo man übrigens in der urgemütlichen ‚Wohnhalle‘ auch einen perfekten englischen ‚Afternoon Tea‘ bekommen kann. Vorbestellung lohnt sich, denn jeder will in der ‚Condi‘ einen Tisch am Fenster haben. Der Ausblick von dort oben (erster Stock) über die Binnenalster ist wunderbar. Das ist dann sozusagen die Kirsche auf dem Kuchen.