Apothekergarten

Der Garten liegt etwas versteckt in der nordwestlichen Ecke von Planten un Blomen. Oft bin ich schon vorher abgebogen, aber bei meinem letzten Besuch stand der Apothekergarten ganz oben auf meiner Liste. Er ist einer der wenigen Orte, die ich noch ziemlich genau aus der Kindheit erinnern kann. Damals fand die Internationale Gartenschau mehrmals in dem Park statt und ich war sicherlich 1963 vor Ort und bestaunte die Veranstaltung zusammen mit meinen Eltern. Etwa zur gleichen Zeit machten wir einen Schulausflug nach Planten un Blomen und der führte uns auch in den Kräutergarten. Ein Ort, der sich natürlich gut für pädagogische Zwecke nutzen lässt. Ich weiß noch, wie wir uns zu zweit aufstellten, und genauesten instruiert wurden: „Nichts anfassen, bloß nichts abpflücken und schon gar nicht irgendetwas in den Mund stecken!“ Mit der klaren Ansprache marschierten wir dann los. Etwa ängstlich, denn man hatte uns vorab aufgeklärt, dass Medizin in zu hoher Dosis sehr wohl giftig sein kann. Und nun sollten wir direkt in diese Teufelsküche eindringen. Wenn da man bloß nichts über den Luftweg in uns eindringt, dachte ich mir und hielt tunlichst den Mund geschlossen. Aber dann war ich doch enttäuscht, als der Fingerhut in Sicht kam, vor dem wir eindringlich gewarnt wurden. Die schöne Blume, deren Samen für die Behandlung von Herzschwäche genutzt werden und die in hoher Dosis tödlich wirken kann, war mir bestens bekannt. Wir hatten davon einige Exemplare im Garten stehen und meine Mutter hatte mir schon längst empfohlen, davon die Finger zu lassen. Das genügte, denn ich bekam selten Verbote und nahm die wenigen umso ernster.

Eine schneeweiß gestrichene Mauer umgibt den Apothekergarten. Der Eingang wird von zwei schmiedeeisernen Pforten abends verschlossen. Alles sieht noch genauso aus, wie ich es erinnere. Am Eingang wird darauf hingewiesen, dass überall Schilder in Blindenschrift angebracht wurde. Eine gute Idee, denn vermutlich ist für Blinde der Pfad ein ganz besonders intensives Erlebnis. Hier gibt es nämlich gar nicht so viele Farben zu sehen und die Pflanzen sind optisch auch nicht beeindruckend, dafür aber ihr Duft. Sobald man den Eingang passiert, taucht man darin ein. Die erste Quelle ist ein Fenchelstrauch, der in die Abteilung der Küchenkräuter einlädt. 

Insgesamt werden sieben Abteilungen, in jeweils eigenen kleinen Gärten angeboten. Jede thematische Abteilung ist einem Körperteil bzw. einer Funktion zugeordnet. Man kann es also auch so betrachten, als würde man durch den menschlichen Körper spazieren. Ein großes Relief zeigt das jeweilige Verwendungsgebiet an. Es geht um die Nerven, den Magen, die Blase, das Herz oder die Haut. In der Abteilung ‚Ruhe/Nerven‘ steht ein prachtvoller Busch. Über mannshoch trägt er gerade seine Blüten. Große, hellgrüne Hopfen-Zapfen hängen an seinen Zweigen. Das freut mich, denn dann kann das abendliche Glas Bier nicht falsch sein, oder? Andererseits erfahre ich auch, dass der Hopfen zur Familie der Hanfgewächse zählt. Vielleicht doch Vorsicht walten lassen?

In den blendend weißen Mauern sind Öffnungen eingelassen, die mit individuellen schmiedeeisernen Kunstfiguren geschmückt wurden. Ich erkenne den Stab des Äskulap, aber die meisten Formen kann ich nicht identifizieren. Es könnten auch Mahnmale gegen den Krieg sein, denn irgendwie sieht das alles eher bedrohlich aus. Wahrscheinlich liegt es an mir, der Groschen des Erkennens wollte einfach nicht fallen. Der Spaziergang ist schon bald beendet, denn mir fehlt das tiefere Interesse an den Kräutern und Pflanzen. Wer das mitbringt, kann sich hier bestimmt stundenlang aufhalten. Trotzdem war der Abstecher durch den Apothekergarten für mich lohnenswert, alleine schon wegen der reizvollen Düfte. Danach bin ich zum großen Parksee gegangen und habe noch ein Runde um den Rosengarten gedreht. Das Wetter war wunderbar, ein sonniger Herbsttag mit tiefblauen Himmel.

Der Apothekergarten in diesem herrlichen Park ist ein wunderbares Angebot der Stadt. Alles ist sehr gepflegt, es wird viel Abwechslung geboten und nirgends verlangt man Eintrittsgeld. Planten un Blomen gehört für mich inzwischen zu meinen Lieblingszielen. Das gilt ganzjährig, allerdings nicht bei Regen. Eine Kritik muss ich doch noch loswerden und das gilt der Beschilderung. Es wäre wünschenswert, wenn man öfter einen Hinweis auf den nächsten Ausgang bzw. zur nächsten U-Bahnhaltestelle finden würde. Ich empfinde die Orientierung als etwas schwierig, auch wenn ich inzwischen zwei Festpunkte stets im Auge habe: Der Fernsehturm und das Radisson Hotel. Auf diese Weise gelingt es mir, den Dammtorbahnhof ohne große Umwege anzusteuern. Wenn ich aber lieber zum Gänsemarkt gehen würde, so wie bei diesem Ausflug, dann wird es ziemlich schwierig, trotz Stadtplan in der Fototasche. Vielleicht stecke ich nächstes Mal einen Kompass ein, denn der hat sich schon auf dem Ohlsdorfer Friedhof bewährt, wo man sich in ähnlich kurzer Zeit völlig verlaufen kann.