Das Nikolai Quartier

Hamburgs alte Kirchspiele (Lizenz: gemeinfrei)

Damit man Hamburg alleine verwaltungstechnisch überschauen kann, hat man die Stadt in 7 Bezirke und 104 Stadtteile eingeteilt. Der jüngste davon ist die HafenCity, zusammen mit der Speicherstadt. Im Mittelalter lebten zwar deutlich weniger Menschen auf einer viel kleineren Fläche, aber schon damals hat dasselbe Prinzip gegolten. Man teilte die Fläche innerhalb der Stadtmauern in vier Kirchspiele ein: St. Petri, St. Nikolai, St. Katharinen und St. Jakobi. Als jüngstes Kirchspiel kam schließlich St. Michaelis dazu. Diese fünf Kirchen fungierten zugleich als weltliche Verwaltungsbezirke innerhalb der Stadtverfassung. Das änderte sich erst Mitte des 19. Jahrhunderts.

Mir scheint, dass die Architekten und Stadtplaner heute zu der alten kleinflächigen Teilung gerne zurückkehren. Auf einmal entstehen überall Quartiere. Ganz konsequent wurde es in der HafenCity gehandhabt, die aus zehn Quartieren besteht. Kirchlich gehört sie übrigens zu St. Katharinen, die deshalb wohl die einzige Gemeinde weit und breit ist, die enormen Mitgliederzuwachs vermelden kann. 

Spaziert man durch die Hamburger Innenstadt, dann entdeckt man zahlreiche Großbaustellen, an deren Bauzaun mit dem fertigen Häuserkomplex geworben wird. Meistens eine Mischnutzung aus Büros, Geschäften und Wohnraum. In den letzten Jahrzehnten zogen die Menschen nach weit außerhalb, um sich ein Grundstück mit Haus zu kaufen. Heute wollen alle wieder zurück in die City, wo es sicherlich lebendiger zugeht. Der Raum in der Stadt ist begrenzt und deshalb teuer. Die Lösung liegt zum einen in der Verdichtung, also anstatt Einzelhaus, hat man heute eine Etagenwohnung und in der Verkleinerung des Wohnraumes. Küchen waren früher der Wohnraum der Familie, heute sind sie ein Teil des Wohnzimmers. Klein, hochfunktional und sehr schick, aber nicht mehr separat in einem eigenen Raum untergebracht. Das Schlafzimmer ist gerade groß genug, um ein schmales Doppelbett und einen Schrank unterzubringen. Die Loggia weicht einem kleinen Balkon. Dafür sind die Fenster raumhoch, vom Boden bis zur Zimmerdecke und von einer Wand bis zur anderen. Da scheint genug Licht hinein und der Ausblick ist hoffentlich grandios. Eines dieser neuen Lebensräume entsteht gerade im Nikolai Quartier. Ein sehr viel älteres Quartier ist das Portugiesenviertel am Hafen.

Heute Morgen bin ich mit der Kamera durch das Nikolai Quartier spaziert. Es ist noch immer ziemlich genau in den Grenzen des alten Kirchspiels zu finden. Südlich begrenzt von der Ost-West-Strasse (heute: Willy-Brand-Strasse), wo auch die Kirche steht. Ein gewaltiger Turm, allerdings ohne Kirchenschiff, denn das wurde 1943 während des Feuersturms ‚Gomorrha‘ zerstört. Man hat den ausgebrannten Turm als Mahnmal stehen lassen. Eine eindrucksvolle Warnung vor den Folgen eines Krieges. Vor der Kirche stehen ein paar Bäume und Bänke. Der schattige Platz wird oftmals übersehen und dient hauptsächlich als Parkplatz. Das ist schade, denn früher diente er jahrhundertelang als beliebter Marktplatz, auf dem man sich traf, Neuigkeiten austauschte und ein Glas Bier genoss. Der Name hat sich erhalten, ich spreche vom Hopfenmarkt. 

 

Ich gehe über das Gelände der Kirche in Richtung Nikolaifleet. Das war das Herzstück des Quartiers. Hier hatte Hamburg seinen ersten Hafen. Ja, der lag in der Mündung der Alster und nicht etwas an der Elbe. Wenige alte Häuser sind noch zu finden, aber auch die sind kaum 150 Jahre alt. Über den Fleet führt die Trostbrücke. Sie gehört zu ältesten Brücken Hamburgs und war die Verbindung zwischen der bischöflich dominierten Altstadt und der gräflichen Neustadt (nicht mit dem Stadtteil Neustadt beim Michel verwechseln). Adolph IV. Graf von Holstein und Schauenburg bot der Kirche die Stirn und gründete einen eigenen Handelsplatz, gleich neben dem Dombezirk. Mittelpunkt war die Neue Burg, von der kaum etwas übrig blieb. Als man den Hopfenmarkt umbaute, fand man Reste des Fundaments. Sie stand also gleich vor der Nikolai Kirche. Die beiden Kontrahenten, der Graf und Bischof St. Ansgar stehen sich noch heute vis-à-vis auf der Nahtstelle ihrer Gebiete, nämlich der Trostbrücke, gegenüber. Gleich neben der Brücke steht das Haus der Patriotischen Gesellschaft, das der Bürgerschaft als Notunterkunft diente, nachdem der Große Brand Hamburg verwüstet hatte. Auf der anderen Seite hat Julius Campe sein Verlagshaus. Es wurde abgerissen, genau wie die Private Hamburger Börsenhalle. Nur die Straßen blieben erhalten und helfen einem dabei, sich gedanklich in frühere Zeiten zu versetzen. Sie zeigen, wie klein alles war, wie eng die Häuser beieinander standen. Vermutlich kannte jeder jeden, weil man sich täglich auf der Straße begegnete. 

 

 

Ich bin schon fast am östlichen Ende des Quartiers und biege deshalb in Richtung Norden ab. Mein nächstes Ziel ist der Adolphsplatz (nach dem Grafen benannt), wo die Handelskammer steht. Es sind nur wenige Schritte bis dorthin. Früher war dort die Neue Börse untergebracht und sie wurde beim Großen Brand von tapferen Männern vor den Flammen gerettet. Auf den Adolphsplatz hatten sich damals viele Bürger gerettet. Gleich dahinter verläuft die Straße ‚Alter Wall‘. Ihr Name darf wörtlich verstanden werden. Früher war hier ein tiefer Wassergraben, der die Befestigungsanlage zusätzlich unüberwindbar machte. Dann kehre ich um, zurück zur Handelskammer und folge dem Mönkedamm bis zum Bahnhof Rödingsmarkt. Früher wäre ich am Nikolaifleet entlangspaziert, aber der wurde unterirdisch abgeleitet, damit die U-Bahn Gleise verlegt werden konnten. Ein technisches Meisterwerk hatten die Hamburger sich erdacht und dann auch erbaut. Die Gleise mussten von dem Hochbahn-Viadukt, das hoch über Straßenniveau entlangführt, tief in die Erde geführt werden, um im Tunnel weiterzufahren. Das kurze Stück hat ein beachtliches Gefälle und muss auch noch einer engen Kurvenführung folgen. Meisterliche Ingenieursarbeit.

 

 

 

 

2 Kommentare

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    1. Author

      Thank you for your kind comment. It’s the first feedback, something special!

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