Manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht. Und manchmal verschwindet ein Segelschiff hinter den unzähligen Masten. So kam es mir jedenfalls heute Morgen vor, als ich auf den Landungsbrücken stand und ein Schiff mit dem Name ‚Stad Amsterdam‘ suchte. Ein Vollschiff mit 3 Masten und einer Segelfläche von 2.200 qm. Die Länge wird mit 76 Metern angegeben und das ist deutlich größer als die meisten Boote im Hamburger Yachthafen. Wo also versteckte sich der stolze Segler? Ich hatte es ganz zufällig mitbekommen, dass das Schiff in Hamburg Anker geworfen hatte und wollte mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen. Deshalb verzichtete ich auf mein Frühstück, besorgte mir einen Take-away-Coffee unterwegs und stand so ziemlich alleine auf den Landungsbrücken.
Für den Großsegler konnte es eigentlich nur einen Liegeplatz geben, nämlich die Überseebrücke und genau die war dann auch mein Ziel. Letzte Woche, als ein großer Kreuzfahrer dort lag, hatte man die Brücke für alle Besucher gesperrt. Niemand durfte auf den Ponton, wenn er/sie keine Bordkarte zeigen konnte. Heute Morgen war kein Sicherheitsmann zu sehen. Der Zugang war frei. Sollte ich es wagen oder lieber nicht? Mein Gleichgewichtssinn ist nicht sehr zuverlässig. Sobald der Boden schwankt, komme ich selbst ins Wanken. Aber meine Neugier hat gesiegt, ich habe es gewagt. Ich bin die elend lange Brücke entlang marschiert, habe tunlichst vermieden, auf die breiten Ritzen zu blicken, wo tief unter einem die Elbe zu sehen ist und hielt mich wacker genau auf der Mittellinie. Bloß nicht zu weit an die Ränder kommen, dann wird mir sofort schwindelig. Das Abenteuer ging gut aus, ich kam heil auf dem schwimmenden Ponton an, wo die ‚Stad Amsterdam‘ festgemacht hatte. Und so konnte ich dann tatsächlich das wunderschöne Schiff aus nächster Nähe bestaunen.
Nach der ‚Heldentat‘ brauchte ich eine Pause. Die vielen leeren Bänke luden zum Verweilen ein. Kaum war ich zur Ruhe gekommen, bekam ich auch schon Besuch. Eine Möwe lief schnurstracks auf mich zu. Allerdings sah sie eigentlich wie eine Taube aus, obwohl das Gefieder schneeweiß war. Aus der Nähe betrachtet war sie eindeutig eine Taube und vermutlich ein ganz besonderes Exemplar. Sie hatte nämlich nicht nur weißes Gefieder, sondern auch rote Augen und helle, durchsichtige Krallen. Eine zweite Taube gesellte sich zu ihr. Sie war dunkler als üblich. Statt grau, eher schwarz. Die beiden kannten sich. Anders als andere zu sein, kann einen ausgrenzen, aber auch zu Freunden machen. Die beiden setzten ihren Morgenspaziergang fort und murmelten etwas, das ich als „passt schon“ verstanden habe.