Die Winterzeit beginnt zwar erst morgen, aber schon jetzt wird es früh dunkel. Umso heller strahlen die Lichter im Hafen und ich freue mich jedes Mal, wenn ein Frachter am Kai der Firma C. Steinweg anlegt. Den habe ich nämlich genau im Blickwinkel, wenn ich abends in meinem Wohnzimmer sitze und auf die Nordelbe blicke. Der Ausschnitt, den ich durch eine Häuserlücke sehen kann, ist nur schmal, aber es reicht mir, um mich daran zu begeistern. Mal fährt eine Fähre vorbei, mal ein Ausflugsschiff oder ein Schlepper kehrt von einem Liegeplatz zurück. Bei Steinweg wird oft bis spätabends gearbeitet und dann ist der Kai und das dort liegende Frachtschiff hell erleuchtet. An den Kranauslegern leuchten roten Lampen, die sich mit der Last gemächlich bewegen. Mal drehen sie zur Landseite, dann wieder zum Schiff, um genau über der geöffneten Luke stehenzubleiben. Ein munteres Schauspiel, besser als jedes TV-Programm. Ich kann mich gar nicht satt sehen und werde mich hoffentlich niemals daran gewöhnen. So war es auch gestern Abend, als ich entspannt im Sessel saß und der Elbe zusah, wie sie unaufhaltsam vorbeifloss. Leider hatte man bei Steinweg bereits Feierabend gemacht, aber einige Lampen brannten noch. Sie werfen ihre weißen oder auch roten Lichtkegel über das Wasser, wo sie reflektiert werden und eine wunderbare Lichtshow bieten. Ich hatte mir ein Glas Wein eingeschenkt und ließ den Tag im Kopf Revue passieren. Er war gut gewesen und ich war mit mir zufrieden. Was will man mehr?
Je später der Abend, desto weniger Schiffe werden vorbeikommen. Es gibt zwar keine Trennung zwischen Tag- und Nachtbetrieb, aber die meisten Schiffe werden versuchen den Hafen tagsüber zu erreichen. Die großen Kreuzfahrer kommen ausnahmslos morgens an und legen abends, gegen 18:00 Uhr, wieder ab. Aber davon bekomme ich nichts mit, denn das kleine Behelfsterminal in der HafenCity wird im Winterhalbjahr nicht genutzt. Die anderen liegen alle weit vor der Stelle, die ich von meinem Wohnzimmer aus sehen kann.
Und plötzlich schiebt sich dann doch ein gigantischer Bug vor das erleuchtete Terminal. Ich bin völlig überrascht und starre aus dem Fenster. Das Schiff wird größer und größer und dann taucht auch schon der bekannte Kussmund auf und der Groschen fällt. Das ist ein Kreuzfahrer, das ist die AIDAsol. Zum Greifen nahe gleitet sie vorbei. Die Passagiere stehen dicht gedrängt auf den Decks und als ich winke, winken sie zurück. Sie starren mich an und ich schaue mit weit aufgerissen Augen auf sie. Es ist nicht das erste Mal, dass ein so großes Schiff hier vorbeifährt, aber um diese Zeit ist es eigentlich nicht möglich. Vermutlich war die AIDAsol tagsüber im Cruise Center Steinwerder und jetzt, etwas verspätete, auf dem Weg zur Nordsee. Aber dann würde sie hier nicht auftauchen. Was also ist passiert. Mir fallen nur zwei Möglichkeiten ein. Entweder hat man sich ‚verfahren‘ und ist falsch in die Elbe eingebogen oder der Kapitän ist in Geberlaune und bietet seinen Gästen eine zusätzliche Hafenrundfahrt. Beides ist eigentlich undenkbar und ich verfolge den Kurs inzwischen auch auf meiner Handy-App. Da kann ich sehen, dass der Kreuzfahrer tatsächlich die breite Norderelbe nutzt, um eine 180° Drehung zu machen. Das Schiff wird also gleich noch einmal an meinem Fenster vorbeiziehen. Zeit genug, um den Fotoapparat zu holen.
Diesmal ist sie noch näher am Nordufer, denn auch auf der Elbe gilt Rechtsverkehr. Zwei Schlepper haben sich an das Schiff gehängt, sind aber nicht per Leine verbunden. Vorn kommt dann sogar noch ein dritter Schlepper auf. Einige kleine Passagierschiffe haben sich längsseits eingefunden. Die sind wohl alle genauso überrascht, wie ich es bin. Allerdings scheinen mir meine Erklärungen für das ungewöhnliche Manöver wenig glaubwürdig, denn es wird ganz sicher ein Hafenlotse an Bord sein, und dem werden solche Sachen nicht passieren.
Wie auch immer, es war ein sehr überraschendes Spektakel. Ich ging wenig später hochzufrieden ins Bett. Gleich am nächsten Morgen, noch im Bett liegend, fiel mir die Sache wieder ein. Vielleicht kann Google helfen? Und da klärt sich dann tatsächlich die Sache auf. Die AIDAsol hatte gestern den Hafen verlassen, um eine 117-tägige Weltreise zu beginnen. Die Passagiere waren in Hamburg eingestiegen und werden am 21. Februar wieder hier eintreffen. Silvester werden sie in Sydney verbringen. Was für ein Abenteuer. Und weil das auch für die AIDA Reederei eine ganz besondere Reise ist, hat man sie mit einer Abschiedsrunde vor der Elbphilharmonie gestartet. Gleich danach zieht das Schiff dann bei mir vorbei und nutzt dann zum Wenden die breite Stelle vor dem Hansahafen. Danach läuft man an den Elbbrücken vorbei, ein letztes Winken und dann geht es stromabwärts zur offenen See. Man hatte sogar noch eine Lasershow installiert, die ein gigantisches Tor auf der Elbe produzierte, durch das die AIDAsol ihren Weg zur Weltumrundung machte. Schade nur, dass das nicht rechtzeitig kommuniziert wurde. Das hätten sich bestimmt viele Hamburger und auch Urlauber angesehen. Meine Fotos geben nicht viel her, aber für mich sind sie eine schöne Erinnerung an die unverhoffte Überraschung am Freitagabend.