Der 3. Oktober naht, ein Feiertag. Den gibt es seit mehr als 30 Jahren, aber bei mir ist es noch immer nicht angekommen. Ich muss es mir rot im Kalender anstreichen, sonst stehe ich im Einkaufzentrum vor verschlossenen Türen. Dieses Jahr verwirrt mich noch mehr, als die Vorjahre. Warum beginnen die Feierlichkeiten schon am Montag (2. Oktober)? Dann endlich fällt der Groschen. Wir, also Hamburg, ist als Gastgeber an der Reihe. Da muss man sich mehr anstrengend, als in den Vorjahren. Man nutzt den Brückentag und veranstaltet ein zweitägiges Volksfest. Jubel, Trubel, Heiterkeit. Da bin ich neugierig und mache mich rechtzeitig auf den Weg.
Ich bin zu früh. Der Startschuss soll um elf Uhr fallen, aber es ist noch nicht einmal halb elf. Macht aber nix, denn die anderen können es genauso wenig abwarten. Die ersten Bratwürste sind gegrillt, das erste Sektglas gefüllt und die Sonne lacht am Himmel, als wären wir noch im Sommer. Ich nähere mich der Partymeile vom Rödingsmarkt her und starte meinen Rundgang an der Handelskammer. Dann will ich zum Rathausmarkt, nehme die Abkürzung quer durch die Rathausdiele und werde schließlich in der Mönckebergstraße landen.
Ich genieße es, mit den vielen Leuten zu reden, denn die Gelegenheit bietet sich mir nicht jeden Tag. Ganz nebenbei bekomme ich viele Informationen, die mir bisher nicht bekannt waren. Der Kampfmittelräumdienst ist auch präsent und ich frage schnell mal nach, ob sie in der HafenCity klar Schiff gemacht haben, bevor die Quartiere hochgezogen wurden. Sie bejahen das, versichern mir, dass dort keine Bombe mehr zu finden ist. Na dann ist ja gut. Immerhin war es im Krieg eines der bevorzugten Zielgebiete, denn dort war der Hafen angesiedelt. Ein Restrisiko bleibt, und das liegt in der Elbe, so erzählen mir die erfahrenen Männer. Die Bomben, die in den Fluss gefallen sind und nicht detonierten, werden mit Ebbe und Flut von einem Ort zum nächsten gespült. Wenn dann die Fahrrinne mal wieder ausgebaggert wird, kann es sein, dass man einen Zufallsfund macht. Passierte gerade vor zwei Wochen, abends am Kreuzfahrtterminal Steinwerder. Dort lag die AIDA und musste sich gedulden. Der geplante Auslauf verzögerte sich um Stunden. Wichtiger ist aber, dass alles glattging. Die Entschärfung erfolgte planmäßig.
Die Info-Stände der Bundesministerien sind ziemlich dürftig zusammengezimmert worden. Ein paar ungehobelte Bretter, Fußbodenbohlen und Plastikplane als Dach. Komischerweise drängen sich die Besucher schon am frühen Vormittag an den Buden. Die Chefs sind nicht präsent, aber Boris Pistorius (Verteidigung) soll nachmittags kommen. Immerhin einer, der sich Zeit nimmt. Warum dann das Gedränge? Vielleicht verteilt man Bonbons oder nutzt man die Gelegenheit, um ein Anliegen endlich mal zur Sprache zu bringen? Ich bräuchte einen neuen Pass, weil der alte bald abläuft. Lässt sich das hier erledigen?
Die Mönckebergstraße gehört den Bundesländern. Die Bayern haben ein Bierzelt aufgeschlagen, die Rheinländer locken mit Wein und haben zusätzlich einen Kölner Karnevals-Jecken mitgebracht und die Thüringer bieten Bratwurst an. Baden-Württemberg versucht es auch kulinarisch mit Wein mit Käse-Häppchen. So geht es weiter, irgendwie ganz nett, aber auch ein wenig dröge. Ein Stand fiel mir auf, weil seine Dekoration ziemlich laienhaft aussah. Und als ich bereits auf meinem Rückweg, ein zweites Mal dort entlanggehe, ist alles fertig aufgebaut. Ein ziemlich schräges Bild bietet sich mir. Ich sehe eine winzige Bühne mit einem One-Man-Orchester unter einem gelben Sonnenschirm. Aber als der Musiker loslegt, bleiben alle stehen und weigern sich weiterzugehen. Der Mann spielt eine Samba-Melodie, so rhythmisch und mitreißend, dass schon bald erste Zuhörer sich tanzend vor ihm aufbauen. Auch ich bleibe stehen und genieße die Show. Der Mann kann diverse Musikinstrumente spielen, er kann singen und er kann unterhalten. Ein wirklich guter Entertainer. Genau das fehlte mir die ganze Zeit. Bei der geballten Informationsflut mangelte es ein wenig an Spaß und Freude. Ich höre mir noch ein zweites Lied an und will dann wissen, welches Bundesland sich hier vorstellt. Wer hat die Leichtigkeit und den Witz, eine solche Show zu zeigen? Raten Sie mal, es sind die Sachsen! Ich war zwar noch nie dort, pflegte aber jahrelang meine zementierten Vorurteile. Und die haben sich innerhalb von fünf Minuten in Luft aufgelöst. Ab sofort denke ich ganz anders über die Landsleute in Sachsen. Geht es nicht genau darum? Wenn wir den ‚Tag der Deutschen Einheit‘ feiern, dann haben wir Gelegenheit zur persönlichen Begegnung und können uns endlich ein eigenes Bild machen. So gesehen, war das für mich ein sehr erfolgreicher Vormittag.