Hamburgs Innenstadt wird von vielen kleinen Flüssen durchzogen. Pardon, es sind natürlich Fleete. So heißt das hier. Sie verbinden Alster und Elbe, führten früher direkt zu den Speichern der Kaufleute. Ein Fleet ist nichts anderes als ein kleines fließendes Gewässer. Wichtig ist dabei, dass es in die Elbe mündet. Wenn das nicht gegeben ist, dann ist der Fleet auch in Hamburg einfach nur ein Fluss. Das Besondere an den Fleeten ist ihr stets wechselnder Wasserstand, denn sie reagieren auf Ebbe und Flut. Erst als Schleusen gebaut wurden, war es damit vorbei, aber der Name blieb.
Die Gezeiten sind etwas ganz Einzigartiges. Sie lassen die Flüsse ein- und ausatmen. Ganz regelmäßig, genau vorhersagbar. Der Taktgeber ist der Mond, er gibt den Rhythmus vor. Und wer am Wasser lebt und diesen Vorgang hautnah erfährt, ist automatisch auf das Ebbe-Flut-Wechselspiel geprägt. Mir erschloss sich das erst in London, denn dort ist die Tide viel stärker. In sechs Stunden fällt der Wasserstand der Themse fast sieben Meter an der Tower Bridge; in Hamburg erreichen wir ungefähr die Hälfte. Und so habe ich dort Ebbe und Flut viel eindringlicher erlebt und konnte stets eine deutliche Änderung der Stimmung wahrnehmen. Ich bin mir nicht sicher was es genau ist, aber die Energie, die in der Luft liegt, scheint ihre Qualität zu wechseln. Je nach Wasserstand und vor allem nach der Fließrichtung. Es macht einen deutlichen Unterschied, ob das Wasser hereindrückt oder gerade abfließt. Ich spüre es oft schon bevor ich es sehe, und zwar mit allen Sinnen.
In der Hamburger Innenstadt haben wir noch immer eine Vielzahl von Fleeten. Sie werden eigentlich nicht mehr genutzt und einige wurden deshalb zugeschüttet. So entstand unter anderem die Straße ‚Rödingsmarkt‘. Die Waren wurden irgendwann nicht mehr per Schute bzw. Ewer geliefert. Stattdessen nutzte man Pferdefuhrwerke. Die brauchten einen festen Untergrund, mit Schwimmen ging es nicht. Zum Glück hat man nicht alle Fleete als Straßen genutzt und so haben wir noch eine stattliche Anzahl der alten Wasserwege. Da ist etwa das Bleichenfleet, dass nahtlos ins Herrengrabenfleet übergeht. So ungefähr auf der Nahtstelle findet man eine der schönsten und ältesten Brücken Hamburgs. Sie bietet sich als Fotomotiv an, besonders an ruhigen Tagen, weil sich dann die Bögen so herrlich im Wasser spiegeln. Früher lief Hamburgs westlicher Grenzwall an diesem Fleet entlang. Ein Wassergraben ist immer ein brauchbarer Schutz gegen Angreifer. Und die ‚Herren‘, die im gleichnamigen Fleet das exklusive Angelrecht hatten, waren natürlich die Senatoren der Stadt.
An der Poststraße endet das Fleet abrupt, die letzten Meter bis zur Binnenalster sind versperrt. Kein Wunder, denn dort versperrt das Alsterhaus den Weg. Schon früher war das eine der besten Grundstückslagen und reiche Kaufleute und auch Hoteliers siedelten sich hier gerne an. Parallel zum Herrengraben-/Bleichenfleet verläuft das Alsterfleet, keine dreißig Meter entfernt. Dieses Gewässer verbindet Alster und Elbe und es ist noch heute schiffbar. Eine Schleuse hält den Wasserstand auf konstanter Höhe. So hat man eine Verbindung geschaffen, ohne dass die Alster alle zwölf Stunden leer läuft. Ein Nebenarm ist das Mönckedammfleet. Das kennen wir von U-Bahn-Linie 3. Ihr Gleisbett verläuft daran entlang, bevor es im Tunnel unter dem Rathaus verschwindet. Und dann ist dort auch noch das Nikolaifleet. Ziemlich groß und ziemlich breit fließt es in den Binnenhafen der Elbe. Früher war es die natürliche Verbindung zwischen Alster und Elbe. Das Fleet hat keine Schleuse und fällt deshalb bei Niedrigwasser trocken. Ein sehenswertes Schauspiel. Das Nikolaifleet endet am Großen Burstah, keine 20 Meter vom Mönckedammfleet entfernt.
Hamburgs Fleete sind etwas ganz Besonderes. Auf jeden Fall einen Blick wert und stets ein gutes Fotomotiv. Hoffentlich werden noch viele Cafés und Restaurants auf die Idee kommen sich dort anzusiedeln. Allerdings macht man es ihnen nicht leicht, denn oftmals fehlt der nötige Fußweg entlang des Gewässers. Aber darüber habe ich schon erzählt, und zwar eher kritisch in meinem Beitrag über den Alsterkanal.