Freilichtmuseum Kiekeberg

Als ich letztes Jahr meine Wohnung aufgab, um in eine Seniorenwohnanlage zu ziehen, reagierte viele meiner Freunde mit Skepsis. Sie witterten Nachteile, weil solche Wohnungen meistens deutlich kleiner als üblich sind und natürlich alle Mitbewohner bereits im Rentenalter angekommen sind. „Wird das nicht langweilig werden?“, fragten sie mich. Ich wusste es ja selbst nicht, vertraute aber auf die attraktive Wohnlage mitten in der HafenCity. Damit lag ich nicht falsch, dort ist es für mich noch immer spannend. Ich genieße aber auch den Service, den ich vorher nicht kannte. Insbesondere die monatlich stattfindenden Ausflüge ins Umland. Bequemer geht es nicht, man muss sich um nichts kümmern. Tickets, Mittagessen, Routenplanung und was noch so alles dazugehört, ist nicht länger mein Job. Ich muss nur daran denken, rechtzeitig vor der Haustür zu stehen, denn dort hält der komfortable Reisebus, der uns einsammelt und ans Ziel bringt. Abends natürlich alles wieder retour. Und auf einmal bin ich regelmäßig unterwegs und erlebe mehr, als all die Jahre zuvor. Vor wenige Tagen ging es ins Freilichtmuseum auf dem Kiekeberg. Für mich Neuland und schon die Hinfahrt war erlebnisreich. Es ging quer durch den Hafen bis zum Ziel mitten in den Harburger Bergen. Das Wetter war optimal, die Sonne schien, alles bestens. Die Gewitter und der Sturzregen folgten erst am Tag danach. Da hatten wir richtig viel Glück.

 

 

Wir starteten erst am späten Vormittag und begannen den Besuch mit einem deftigen Mittagessen, dass im Dorfkrug serviert wird. Ein Auftakt ganz nach meinem Geschmack und das in jeder Hinsicht. Danach startete ich meine Fototour und glaubte in einer sehr heilen Welt unterwegs zu sein. Der Eindruck täuschte. Sobald man eines der Häuser betritt, wird deutlich, unter welch harten Bedingungen damals gewohnt und gearbeitet wurde. Alle Häuser stehen den Besuchern offen und sind bis ins Detail genau ausgestattet. Manche sind Wohnhäuser (Katen), andere Werkstätten (Schmiede) oder Ställe für die Tiere. In den großen Häusern lebten die Menschen mit den Tieren gemeinsam. Vorn waren die Pferde und Kühe untergebracht und im hinteren Teil lebten die Bauern.

Uns hatte man eine Führung durch die ‚Königsberger Straße‘ angeboten, die mich wenig lockte. Dort hatte man die Wohnsituation der 1950-er Jahre nachgebaut, unter anderem einige Geschäfte, eine Flüchtlingssiedlung und sogar eine Nissenhütte. Das alles kannte ich aus der Kindheit und hatte wenig Lust, meine Erinnerung daran aufzufrischen. Dann kam ich aber zufällig doch dort vorbei und öffnete zögerlich die Eingangstür zur Schlachterei. Ich war mir nicht sicher, ob man in die Häuser hineingehen durfte, aber der Blick durch den schmalen Türspalt war so verlockend, dass es für mich kein Halten mehr gab. Eine vollständig eingerichtetes Geschäft erwartete mich. Die Verkaufsvitrine war mit Fleisch und Konserven gefüllt. An der gefliesten Wand hingen die Würste und auf dem Tresen stand die Waage mit beidseitig analoger Anzeige; schließlich will der Kunde wissen, wie viel ihm eingepackt wird. Hier stimmte alles, von den Fliesen auf dem Boden bis zu den Blumen in der Vase. Nach dem Auftakt klapperte ich natürlich die gesamte Ladenzeile ab.

 

 

Egal, ob im Elektrofachgeschäft (oh, das Radio hatten wir auch) oder bei den Kurzwaren (Kissen mit dicken Bommeln an den Ecken), wir waren alle hingerissen. Es macht einfach Spaß, längst verdrängte Dinge wiederzuentdecken. Da war das ‚Oh‘ und ‚Ah‘ oft zu hören. Jeder von uns hatte eine gute Anekdote parat, der Ausflug hatte mehr zu bieten, als wir erwartet hatten. Dann wurde es aber ernst. Denn nun wollte ich mir doch noch die Behelfsbauten aus der Nachkriegszeit ansehen. Zum Glück war ich niemals innerhalb einer solchen Unterkunft gewesen, konnte mich aber an die Nissenhütten erinnern, die auf einem Schrebergartengelände in Alsterdorf, wo meine Großeltern wohnten, aufgestellt wurden. Wer dort untergekommen war, galt als bitterarm, was wohl auch zutraf, allerdings nicht selbst verschuldet. Es waren ausgebombte Familien, Vertriebene und Kriegsheimkehrer, die keine andere Bleibe mehr hatten. Sie zogen in die halbrunden Wellblechhütten ein, um wenigstens ein Dach über dem Kopf zu haben. Die Wände aus Wellblech waren ohne jede Isolierung. Im Winter bitterkalt und im Sommer, wie zum Zeitpunkt meines Besuches, stickig warm. Alles, was ich dort sah, war für mich bedrückend, aber es ist gut, dass man auch dieser schwierigen Zeit (1945 bis ca. 1960) einen Platz im Freilichtmuseum gegeben hat. 

 

 

Nach dem bedrückenden Elend brauchte ich einen Stimmungsaufheller. Was eignet sich dazu besser, als ein paar niedliche Tiere? Bisher hatte ich nirgends welche entdeckt, außer ein Hinweisschild auf eine bestimmte Ziegenrasse. Von den Tieren keine Spur. Vermutlich waren sie auf einer Weide und freuten sich genau wie wir über das schöne Wetter. Dann hörte ich aber doch einen vielversprechenden Laut, der mich ins richtige Häuschen führte. Ein kleines Gebäude, eigentlich nur ein Stall, mit Auslauf. Und dort wühlten sich drei Schweine durch den Boden. Man hatte ihnen einen kleinen Badeplatz eingerichtet, der im Wesentlichen aus Schlamm bestand. Das ist offensichtlich das Paradies für Schweine und daran soll wohl erinnert werden, wenn man jemanden als ‚Ferkel‘ bezeichnet. Die drei Quieker hatten jedenfalls viel Spaß.

 

 

Hier findet man das Freilichtmuseum: