Ganz schön nebulös

Der alltägliche Hafenverkehr. Jeder Punkt ist ein Schiff.

Als ich morgens die Gardine zur Seite schiebe, war die Welt draußen verschwunden. Die Sonne war bislang nicht aufgegangen, aber die Dunkelheit konnte nicht der Grund sein. Wenigstens gegenüber auf dem Terminal müsste Licht brennen. Dort arbeitet man rund um die Uhr und die Schiffe am Kai beleuchten ihre Decks auch nachts. Nichts davon war zu sehen, stattdessen Stille und Dunkelheit. Es hatte sich Nebel eingestellt und der hing tief über der Elbe. Über dem Wasser sind die Schwaden besonders dick. Wer an einem solchen Morgen jemals mit seinem Auto über die Elbbrücken gefahren ist, kennt den ‚Nebel des Grauens‘. Mich macht das Wetter aber nicht bange, im Gegenteil plane ich so schnell wie möglich draußen zu sein. Mal sehen, wie es sich anfühlt, wie weit man schauen kann und ob es sich fotografieren lässt.

Das Frühstück fällt kürzer aus als üblich, denn ich will die Gelegenheit, die die Natur anbietet, nicht versäumen. Mein Weg führt mich sofort ans Wasser, an den Dalmannkai, wo die Norderelbe vorbeifließt. Die Spitze des Strandkais, der gegenüberliegt, ist gerade noch zu sehen. Dahinter versinkt alles im undurchdringlichen Nebel. Die Sichtweite beträgt höchstens 150 Meter. Das ist verdammt wenig, denn die Elbe ist an dieser Stelle über 300 Meter breit. Wer dort unterwegs ist, wird sich auf seine Ohren verlassen müssen. Trotz Radar ist das Schiffshorn noch immer eine wirkungsvolle Warnung, und an diesem Morgen wird davon reichlich Gebrauch gemacht.

 

 

In Hamburg sind Herbstferien und die Hotels freuen sich über zahlreiche Gäste. Einige Besucher sind schon unterwegs, darunter viele Fotografen. Die haben, genau wie ich, ihre Chance erkannt. Der Hamburger Hafen wirkt im Nebel ziemlich attraktiv. Jedenfalls tagsüber, abends könnte es eher unheimlich werden. Einige der Edgar Wallace Filme wurden nicht nur aus Kostengründen im Hamburger Freihafen gedreht. Aber solange die Sonne am Himmel steht, wenn auch gut versteckt, wirkt alles sanft, weichgespült und ein wenig surreal. Ich verlasse die Kaianlagen der HafenCity und gehe zur Elb-Promenade rüber. Mal sehen, wie es heute Morgen im Hafen aussieht.

 

 

Der Michel ist verschwunden. Seine Turmuhr weiß die Zeit, zeigt sie mir aber nicht. Er liegt rund 500 Meter vom Nordufer der Elbe entfernt. Zu weit weg für die heutigen Wetterbedingungen. Für die kleine ‚Schwester‘, St. Katharinen, gilt dasselbe. An ihr gehe ich auf meinem Rückweg vorbei. Der führt mich am Binnenhafen entlang und danach biege ich in die Speicherstadt ein. Der Traditionsschiffhafen (Sandtorhafen) könnte sich noch lohnen und führt mich zurück zu meinem Startpunkt am Dalmannkai. Noch immer wabert der Nebel dick und spürbar feucht über der Elbe entlang. Es fühlt sich unangenehm kühl an und ich bin froh, spontan die Handschuhe gegriffen zu haben, als ich die Wohnung verließ. Die kann ich inzwischen gut gebrauchen, denn mit klammen Fingern lassen sich die kleinen Rädchen und Knöpfe an der Kamera nicht gut bedienen. Die kämpft übrigens auch mit dem Nebel, denn die Automatik muss mächtig arbeiten. Eigentlich kann man sich auf das Scharfstellen gut verlassen, es sei denn, Nebel verwischt die Konturen. Sobald der alle Kanten in butterweiche Formen wandelt, hat auch das Kameraobjektiv zeitweise ein Problem. Aber das macht mir eher Freude, denn sonst könnte ich ja gleich einen Roboter losschicken.

 

 

Das Glück ist an meiner Seite. Schon am Anfang meines Spazierganges tastete sich gerade ein Frachter elbaufwärts. Jetzt bin ich wieder am Dalmannkai und höre lautes Hupen. Da warnt jemand die anderen und nach der Lautstärke und Tiefe handelt es sich um ein größeres Schiff. Sehen kann ich noch gar nichts, aber es kommt akustisch immer näher. Dann taucht die kaum sichtbare Silhouette eines Schleppers auf und kurz dahinter ragt ein Bug in die Höhe. Keine Frage, ein weiterer Frachter ist unterwegs und diesmal fährt er elbabwärts. Schemenhaft erkenne ich den Namen am Bug, es ist die ‚Golden Karoo‘. Sie ist 200 Meter lang und bringt Ware nach Antwerpen. Alle 60 Sekunden ertönt das Schiffshorn. Eine Warnung an jeden anderen, der auf der Elbe unterwegs ist. Ob das Horn automatisch bedient wird? Oder steht da ein Offiziersanwärter mit Stoppuhr am Buzzer? Mich beeindruckt das Schauspiel und deshalb drücke ich auf den Videoknopf. Eine kurze Sequenz genügt, um auch den Ton mitzunehmen. Trotzdem verliert die Kamera immer wieder den Fokus, den ich dann schnell korrigieren kann. Also leider ist es wieder einmal kein Meisterwerk geworden, bringt aber die Atmosphäre, die ich heute Morgen erlebt habe, durchaus brauchbar ins gemütlich geheizte Wohnzimmer. 

Ach richtig, bevor ich es vergesse: Heute Nacht werden die Uhren um eine Stunde zurückgestellt. Gott sei Dank!