Crüger, Augusta (1797-1877)

Der vollständige Name lautet: Charlotte Augusta und ich dachte lange Zeit, dass Charlotte ihr Rufname wäre. Inzwischen hat mir ein Nachfahre der Familie Solly, Nicholas McNair, Bilder zur Verfügung gestellt, die eindeutig zeigen, dass sie Augusta genannt wurde. Auch beim Nachnamen finden sich unterschiedliche Schreibweisen. Mal sieht man ‚Crueger‘ und dann auch die deutsche Form ‚Krüger‘. Ich entscheide mich für den Mittelweg, bis es geklärt ist.

 

Geburt: 21.06.1797 in Berlin Ehepartner: Edward Solly
Hochzeit: um 1817 in Berlin Kinder: 1 Tochter Anette, 2 Söhne
Tod: 1877 in London, Greenwich    

 

Herkunft und Taufe

Augusta Crüger wurde in der Nikolaikirche, in Berlin, getauft. Die Nikolaikirche ist heute ein Museum, das zur Stiftung ‚Stadtmuseum Berlin‘ gehört. Das Gebäude ist der älteste Kirchenbau Berlins und war Ende des 17. Jahrhunderts Wirkungsstätte von zwei bedeutenden Männern. Als Pfarrer war Paul Gerhardt hier tätig und zur selben Zeit war Johann Crüger als Kantor beschäftigt. Paul Gerhardt war ein bedeutender protestantischer Kirchenliederdichter und Johann Crüger schrieb die Musik dazu. Sehr wahrscheinlich haben Charlotte und Johann Crüger gemeinsame Vorfahren; beide stammen aus der Niederlausitz.

Ihre Taufstätte wird später in ihrem Leben noch einmal eine Rolle spielen. Ihr Ehemann, Edward Solly, wird nämlich durch den Verkauf seiner bedeutenden Kunstgemäldesammlung den Grundstock für das Berliner Stadtmuseum legen. Nach der völligen Zerstörung der Kirche im Zweiten Weltkrieg wurde sie um 1980 neu aufgebaut und gehört seit dem der Museumsstiftung und wird für Ausstellungen und Konzerte genutzt.

 

Hochzeit mit Edward Solly in Berlin

Bild: © Nicholas McNair – reproduced by permission
Das Porträt zeigt uns Augusta Solly in London.

Charlotte wird die zweite Ehefrau des englischen Kaufmanns Edward Solly. Über seine Herkunft berichte ich auf seiner Webseite. Hier will ich versuchen, die Umstände zu schildern, unter denen Solly lebte, als er Charlotte Crüger heiratete. Er betrieb mit seinen Brüdern einen außerordentlich erfolgreichen Getreide- und Holzhandel. Die Firma war von seinem Vater gegründet worden und die Söhne waren für das Geschäft bestens ausgebildet worden. Edward, der in Berlin auch Eduard genannt wurde, sprach und schrieb fließend Deutsch. Sein Vater schickte ihn gleich nach Abschluss der Schule nach Deutschland. Er lebte zwischen 1800 und 1820 überwiegend in Deutschland; hielt sich viel in Danzig und Berlin auf. Er verbrachte aber auch Zeit in Elbing und Königsberg. Beides waren wichtige Handelsstädte für Kaufleute, die im Baltic Trade tätig waren.

Edward erste Frau war kurz nach der Geburt einer Tochter gestorben. Da waren sie gerade ein Jahr verheiratet (1807). Die Hochzeit mit Charlotte fand 1816 in Berlin statt. Edward lebte dort seit, nachdem er vorher einige Jahre durch Schweden und Europa gereist war. Es war die Zeit Napoleons und seiner Kontinentalsperre (1806-14), die jeglichen Warenhandel mit England verhindern sollte. Die Brüder Solly unterliefen die Sperre. Sie schmuggelten im großen Stil und im Auftrag der Preußen. Man kaufte Bauholz ein, am liebsten festes Eichenholz aus preußischen Wäldern, das man in England gewinnbringend verkaufen konnte. Sozusagen als ‚add-on‘ lieferten Solly & Sons neben dem Holz auch Hanf, dass man zum Abdichten von Schiffsplanken brauchte. Außerdem spekulierte ganz Europa kriegsbedingt auf steigende Getreidepreise. Während der Handelssperre zahlte die britische Marine jeden Preis für das dringend benötigte Holz, denn daraus wurden die Kriegsschiffe gebaut. Natürlich kam das biologische Dichtungsmaterial, also der Hanf, wie gerufen dazu. Die Gewinne waren hoch, aber auch das Risiko. 

Edward benutzt seinen Anteil zum Aufbau einer bedeutenden Gemäldesammlung. Dank seiner europaweiten Handelspartner, kann er in kurzer Zeit sehr viele, und außerordentlich wertvolle Bilder, zusammentragen. In seiner Berliner Villa, in der Wilhelmstraße 67, stellt er die Gemälde im Dachgeschoss aus. In 7 Räumen hängen an den Wänden die Werke von weltberühmten Künstlern. Die Gäste stehen staunend vor Werken von van Eyck, Cranach, Holbein, Rembrandt, Botticelli, Giotto, Raffael …

 

 

Solly hat tatsächlich eine Gemäldesammlung vom Feinsten und in Bildmaßen, die man gewöhnlich nur in einem Museum zu sehen bekommt. Man kann sich also vorstellen, wie groß das Haus in der Wilhelmstraße gewesen sein muss. Besucher, denen die Galerie gerne gezeigt wurde, waren tief beeindruckt. Sie sprechen von einem Stadtpalais.

 

Das Leben in Berlin / Hohe Staatskredite

Die Zeiten unter der Herrschaft Napoleons sind rau, unberechenbar und in vielerlei Hinsicht verlustreich. Das bekommt auch Edward zu spüren. Um 1815 kommt er in immer größere finanzielle Schwierigkeiten. Augusta ist inzwischen seine Frau geworden und die ersten Ehejahre sind sicherlich von den Sorgen überschattet. Aber Solly hat die richtigen Freunde und gute Ideen. Er wendete sich an den preußischen Staat, in dessen Diensten er handelte und dabei die Verluste einfuhr, und verlangt Entschädigung. Er hat Erfolg. Man gewährt ihm 1818 einen Kredit in Höhe von 200.000 Reichstalern. Auf Nachfrage wird das auch im Folgejahr erneut bewilligt. So leiht sich Solly also binnen kurzer Zeit 400.000 Taler aus der Staatskasse. Das ist ein gigantischer Betrag. Als Sicherheit hinterlegt er seine Bildersammlung, die inzwischen fast 3.000 Gemälde umfasst.

Ab 1820 zeichnet sich ab, dass Edward Solly die Schulden nicht zurückzahlen kann. Im Gegenteil, er braucht frisches Geld. Es hilft nichts, er muss nun alles riskieren. Mithilfe von Freunden verhandelt er mit dem preußischen Staat über den Verkauf seiner Gemäldesammlung. Ein Jahr später, im November 1821, ist man sich einig. Für 500.000 Reichsmark gehen alle Bilder in den Besitz des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. über. Solly verkauft auch seine Stadtvilla in der Wilhelmstraße. Die wird von Wilhelm Benecke von Gröditzberg gekauft, ein preußischer Bankier und Kaufmann. – Kaum hat Solly seine finanzielle Lage saniert, investiert er erneut in den Erwerb von Gemälden. Auch diese zweite Sammlung verkauft er später mit hohem Gewinn. Am 18. Mai 1847 werden die Bilder in London vom Auktionshaus Christie’s (Sotheby) versteigert. Nur wenige Gemälde bleiben im Familienbesitz, darunter ein oder zwei Werke, die von Solly’s Tochter der National Gallery am Trafalgar Square zum Geschenk gemacht werden.

 

Umzug nach London

Um 1822 zieht sich Edward Solly mit seiner Frau Augusta und fünf Kindern nach London, seiner Geburtsstadt, zurück. Er kauft ein prächtiges Haus am Hyde Park, in der Curzon Street, in Mayfair, gelegen und führt ein behagliches Leben. Die Familie gilt als sehr gastfreundlich, ihre Türen sind für Freunde stets offen. Unter anderem besucht sie 1826 Friedrich Schinkel, der Architekt aus Berlin, der sie mehrfach in seinem Reisetagebuch erwähnt. Genauso machte es Arthur Schopenhauer und zahlreiche andere bekannte Persönlichkeiten. Augusta wird in überlieferten Aufzeichnungen als außerordentlich schön beschrieben und viele Gäste betonen, dass sie eine ganz ausgezeichnete Singstimme hätte. Die Besucher waren hingerissen. Augusta war offensichtlich eine exzellente Gastgeberin. Im Haus des Ehepaares, in der Curzon Street 7, gingen täglich Besucher ein und aus. Darunter zahlreiche Namen von Rang und Bedeutung. 

 

Schopenhauer und Schinkel gehörten zu den gerne gesehenen Gästen im Londoner Haus. Sie berichteten sicherlich auch von der Heimat Berlin. In Reiseberichten schreiben sie über Augusta.

 

Gäste, besonders aus Deutschland, waren dem Ehepaar stets willkommen und mussten sich nicht anmelden. Mancher Besucher traf sie deshalb nicht an und musste umkehren. Augusta war eine ausgezeichnete Organisatorin. Es war bestimmt nicht einfach, dieses große Haus perfekt funktionieren zu lassen. Ich weiß nicht, ob sie im Elternhaus diesbezüglich Erfahrungen machen konnte. Ich denke aber, dass die berufliche und gesellschaftliche Stellung ihres Vaters eher klein war. Umso bemerkenswerter, dass sie die Rolle der ‚Lady‘ so sicher und sympathisch auftrat. Nachfolgender Brief, geschrieben von Samuel Hunter Christie, wurde an E. Solly, 7 Curzon Street, Mayfair, geschickt. Christie (1784-1865) war ein Mathematiker. Er erforschte aber auch den Erdmagnetismus. In dem Brief bietet er Solly an, ein Paket für Prof. Miller in Cambridge mitzunehmen. Für mich ist die Erwähnung der ‘Agar Street’ in dem Schreiben eine freudige Überraschung, denn mein Hotel liegt keine fünfzig Meter davon entfernt. Ich kenne diese Gegend wie meine Westentasche und konnte mir nie erklären, warum mir dort alles vertraut erscheint. Nun finde ich die Namen in Dokumenten meiner Vorfahren wieder. Es mag Zufall sein, für mich hat es durchaus Bedeutung.