Auf dem Foto sehe ich einen runden, freundlichen Mann, der ein gutes Essen sicherlich mehr schätzt als einen langen Spaziergang. Lese ich aber die Biografie, dann entdecke ich einen ganz anderen Charakter. Vieles ist nicht überliefert, aber was ich über John Forbes Royle weiß, macht mich neugierig mehr über sein Leben zu erfahren.
Schon der Start verspricht Abenteuer, denn John kam nicht im heimischen Edinburgh zur Welt. Er wurde im 8.600 km entfernten Cawpore (Kanpur) geboren. Das liegt mitten im nördlichen Indien, gar nicht weit weg von Nepal und dem Himalaja Gebirge. Für uns schwer vorstellbar, dass unsere Ur-Ur-Großeltern dort gelebt haben, aber für Briten ist es fast normal. Das Empire wird sich zwar erst unter Queen Victoria weltumspannend ausweiten, aber in Indien baut man schon ab Mitte des 18. Jahrhunderts eine Kolonialherrschaft auf und schickt unzählige Soldaten und Offiziere in das ferne Land. Darunter wohl auch John’s Vater, von dem wir nur wissen, dass er den Rang eine ‘Captain’ hatte. Er arbeitete für die East-India Company, eine Kaufmannsgesellschaft mit weltweiter Monopolstellung, und dort sollte auch John seine Ausbildung erhalten. Er war übrigens der einzige Sohn seiner Eltern, denn der Vater starb überraschend jung, als John ungefähr sieben Jahre alt war.
Die Mutter kehrte dann mit ihrem Sohn nach England zurück. Dort besuchte er die High School und plante eine militärische Laufbahn. Er wollte mithilfe der britischen Armee nach Indien zurückkehren. Er hatte sich sogar schon in der militärischen Akademie in Addiscombe (heute: Croydon, London) angemeldet, als dann alles ganz anders kam. Eigentlich interessierte sich John schon immer für die Botanik und hatte auch erste Studien begonnen. Sein Mentor war ein bekannter Arzt namens Anthony Todd Thomson und der überzeugte seinen Studenten davon, dass der Beruf des Mediziners spannender sein kann als ein Leben in der Verwaltung der East India Company. So kam John von der militärischen Laufbahn zum Medizinstudium. Als Arzt ließ er sich dann von der East India Company anheuern und reiste für sie durch weite Teile von Indien. Wann immer Zeit war, tauchte er tief in die Tradition der Menschen ein. Er besuchte kleine Dörfer, Märkte und Basare, wo er zahlreiche Pflanzen entdeckte und deren heilende Wirkung erlernte. Schließlich blieb er in Saharanpur hängen, einer großen Stadt im Norden von Indien. Dort gab es einen Botanischen Garten, der zu den ältesten in Indien gehört. John Forbes übernahm die Leitung, zeigte, wie man wirtschaftlich organisiert und verwaltet und lernte im Gegenzug alles über die Wirkung und Anwendung von exotischen Heilkräutern.
Als er 1833 wieder in England war, zeichnete ihn das King’s College in London mit dem Doktortitel (MD) aus und ein paar Jahre später durfte er sich sogar Professor nennen. Sein Fachgebiet war die ‘Materia Medica’, eine uralte Textsammlung. Darin wird beschrieben, wie sich Substanzen aus den Naturreichen (Pflanzen, Tiere und Mineralien) für Heilzwecke nutzen lassen. John Forbes galt als anerkannter Fachmann der alternativen Medizin und erforschte das weite Feld der Naturheillehre. Von chinesischer Akupunktur, über Hindu Medizin bis zur Homöopathie reichten seine Recherchen.
Zurück in England lernt er dann seine Ehefrau, Annette Solly, kennen. Sie stammte aus einem wohlhabenden Elternhaus. Die Hochzeit seiner Tochter mit John Forbes fand in einem würdigen Rahmen statt. Man heiratete in Marylebone, in der Kirche All Souls am Langham Place (gleich neben dem heutigen BBC-House). Vielleicht wurde anschließend beim Vater in der Curzon Street gefeiert, denn seine Stadtvilla war geräumig. Das junge Paar zog nach Acton, heute ein Londoner Stadtteil mit U-Bahn Anschluss (Acton Town). Damals lag es etwas außerhalb, aber ganz in der Nähe von den königlichen Gärten in Kew. Das war für John bestimmt attraktiv, denn dort wurde schon damals botanisch geforscht.
Als 1851 die Weltausstellung in London eröffnet wurde, leitete John Royle die indische Abteilung. Dort traf er erneut auf Familienangehörige, denn die Brüder Solly, Edward und Isaac, unterstützen das Königspaar Albert und Victoria mit Geld und Ideen. Für Prinz Albert war das Projekt eine Herzensangelegenheit, die er mit viel Energie vorantrieb. Sein goldenes Denkmal im Hyde Park steht in unmittelbarer Nähe des damaligen Ausstellungsgeländes. In seiner Hand hält er ein Buch, dessen Titelseite den Inhalt verrät. Es handelt sich um den offiziellen Katalog zur Weltausstellung. Kein Zufall, dass seine Ehefrau dieses Detail in seiner Hand sehen wollte.
John Forbes Royle, der, wie so oft in England üblich, den Nachnamen seiner Mutter als Mittelnamen trägt, wurde nicht alt. Er starb gleich zu Beginn des Jahres 1858 im Alter von 59 Jahren. Seine Ehefrau überlebte ihn um Jahrzehnte. Er hinterließ eine Tochter und drei Söhne. Die Tochter Annette, heiratet später ihren Verwandten Richard Harrison Solly, ein Professor der Mineralogie und Botanik. Er hätte sich bestimmt gerne mit seinem Schwiegervater unterhalten, aber das sollte nicht sein.