Die Tagesschau ist durch. Ich schalte aus und mache es mir gemütlich. Noch ein wenig aus dem Fenster schauen. Die Aussicht ist interessanter als das TV Abendprogramm. Allerdings wird heute Abend nicht viel passieren. Auf dem Süd-West Terminal, das ich im Blickfeld habe, hat sich kein Schiff angemeldet. Ein kleiner Frachter liegt am Kai, voll beladen mit Containern. Eigentlich sollte er schon wieder unterwegs sein, aber vielleicht wartet man das schlechte Wetter ab. Ein Sturmtief zieht über die Nordsee und niemand möchte dann auf See sein.
Es ist also alles ruhig, nur die Hadag-Fähre kommt regelmäßig vorbei, um eine Handvoll Gäste von der Elbphilharmonie zu den Landungsbrücken zu bringen. Die Strecke könnte man auch zu Fuß gehen, aber das weiß vielleicht nicht jeder. Mir gefällt der Ausblick. Ich mag es, wenn sich die Lichter im dunklen Wasser der Elbe spiegeln. Wenn die roten Signallampen auf den Kranen leuchten und drüben auf dem Terminal letzte Container bewegt werden. Große Scheinwerfer sorgen für die notwendige Sicht. Sie verfolgen jedes Fahrzeug wie einen Schauspieler im Spotlight auf der Theaterbühne. Ihr Licht ist hell, aber angenehm warm, fast orange.
Einen Augenblick bin ich abgelenkt und als ich dann wieder hochschaue, traue ich meinen Augen nicht. Da schiebt sich doch tatsächlich ein großer Kreuzfahrer die Elbe hinauf. Alle Decks sind hell beleuchtet, Passagiere stehen überall und bestaunen das Licht, das aus unseren Häusern in der HafenCity dringt. Am Heck wird eine Party gefeiert. Durch die Scheiben sehe ich bunte Lampen rhythmisch aufleuchten. Da wird Musik gemacht und getanzt.
Ich bin vom Auftauchen des Schiffes so überrascht, dass ich schnell etwas überziehe und heruntergehe. Vielleicht war es ja nur ein Traum? Tatsächlich liegt dort drüben der Kreuzfahrer, vis-à-vis vom Containerschiff. Kaum zu glauben, denn gleich mehrere Sachen sind merkwürdig. Zum einen kommen im Winter nur wenige Cruiser in den Hafen. Das Terminal in der HafenCity ist deshalb seit Anfang November verwaist. Aber dieser liegt ja auch gar nicht dort, sondern am Süd-West Terminal und das ist ein Arbeitsplatz mitten im Hafen. Für Passagiere nicht geeignet und tatsächlich müssen sie alle an Bord bleiben. Und dann die Zeit, die ganz ungewöhnlich ist. Normalerweise laufen Passagierdampfer morgens in den Hafen und setzen am selben Abend ihre Reise fort. Aber um diese späte Zeit ist noch nie ein Schiff eingetroffen.
Schnell finde ich heraus, dass es sich um die MS Artania handelt. Sie wird übermorgen im Terminal Altona erwartet, hat aber die vorgesehene Reiseroute abgebrochen. Statt in Kiel und Warnemünde anzulegen, ist sie direkt nach Hamburg gekommen. Grund ist das Orkantief über der Nordsee, das am nächsten Morgen Hamburg eine schwere Sturmflut bescherte. Der Kapitän der Artania befürchtete eine Sperrung des Schiffsverkehrs auf der Elbe. Dann hätte er vor Helgoland ankern müssen und das wäre wohl ein wenig ruppig geworden. Also kam er spontan auf schnellstem Weg nach Hamburg und brauchte dringend einen Liegeplatz. Erst übermorgen kann er dann wie geplant in Altona anlegen. Dann dürfen die Gäste auch endlich an Land gehen. Die Firma Steinweg, die das Süd-West Terminal betreibt, wird sich wahrscheinlich über den seltenen (einmaligen?) Gast gefreut haben. Statt aufwendige Be- oder Entladung lieferte man lediglich Treibstoff, indem ein Tankschiff geordert wurde. Das legte sich dann längsseits und pumpte das klebrige Schweröl in den Bauch des Cruisers. Morgen früh wird die MS Artania die kurze Strecke flussabwärts bis Altona fahren und wenn ich Glück habe, bin ich dann schon wach und kann ihr noch im Bett liegend nachwinken. Gute Fahrt und komm bald wieder.