Meine ersten Fototouren führten mich ausschließlich in die Natur. In einsame Wälder, abgelegene Moorlandschaften und Ähnliches. Meine Motive fand ich am Wegesrand (Pflanzen) oder weit entfernt in guter Deckung (Tiere). Menschen waren auf meinen Bildern nie zu sehen und das aus gutem Grund. Ich hielt es für aufdringlich und war/bin viel zu schüchtern, um vor der Aufnahme um Erlaubnis zu bitten. Jahrelang konnte ich dem ‚Problem‘ aus dem Weg gehen, indem ich ausschließlich Hase, Fuchs und Reh ablichtete. Die wurden nicht gefragt, hatten aber die Wahl rechtzeitig wegzulaufen, was regelmäßig geschah.
Als ich dann London mit der Kamera besuchte, war ich mitten im Wespennest gelandet. Wenn man dort nicht gerade nachts um drei Uhr unterwegs ist, wird man unweigerlich Menschen fotografieren müssen. Sie stehen dicht gedrängt an allen Orten, von denen man gerne Bilder mitnehmen möchte. Die Sache war dann aber gar nicht schwierig, denn mitten unter Touristen achtet niemand darauf, ob er/sie gerade fotografiert wird. Alle haben ihre Kamera dabei und lichten sich ungewollt permanent gegenseitig ab. Ein fotografisches Geben und Nehmen. Das scheint mir fair zu sein.
Jetzt lebe ich mitten in Hamburg und kann meine Erfahrungen aus London gut nutzen. Es gibt aber auch Situationen, in denen ich eine bestimmte Person bzw. Szene aufnehmen will und dann wird es für mich schwierig. Darf ich das? Sollte ich vorher fragen? Dann wäre aber vermutlich der besondere Augenblick dahin und alles zwecklos. Anfangs wusste ich nicht recht weiter und habe mich entschieden, erst einmal zu beobachten. Dabei fielen mir etliche Leute auf, die munter drauflos knipsten. Sie hatten sicher nichts Böses im Sinn, achteten aber keine Grenzen. Das kann ich tolerieren, will es aber nicht nachmachen. Also suchte ich mir meine eigene Strategie und bin fündig geworden. Als Erstes habe ich nach Leuten Ausschau gehalten, die selbst die Aufmerksamkeit suchen. Sie werden sich gerne fotografieren lassen. Ich suchte also nach Straßenkünstlern, um erste Erfahrungen im Fotografieren von Menschen zu bekommen. Und bitte nie vergessen, dass die kreativen Leute von ihrer Arbeit leben. Also, bitte erst ein wenig Geld geben und dann fotografieren.
Neben den Künstlern trifft man im Hafen auch auf andere Leute, die dort ihrer Arbeit nachgehen und stets ein gutes Motiv sind. Dazu gehören die Männer und Frauen, die zur Hafenrundfahrt animieren. Sie ziehen die Aufmerksamkeit auf sich und sobald ein Kunde Interesse zeigt, konzentrieren sie sich ganz auf ihn. Da wäre es störend, wenn ich auch nur per Gestik anfrage, ob ein Foto erlaubt ist. Ich verzichte darauf und denke, dass sie mein veröffentlichtes Foto als willkommene Werbung betrachten. Genauso ungefragt fotografiere ich manchmal Menschen, die aus der Masse herausstechen. Ein anschauliches Beispiel ist der junge Mann, alleine auf der Treppe sitzend. Als ich ihn entdeckte, kam mir sofort der Song von Otis Redding in den Sinn: ‚Sitting on the dock of the bay‘.
Auf dem Rückweg treffe ich auf den ‚Goldenen Mann‘. Er zeigt sich, genau wie die ‚Fischfrau‘, in einer aufwendigen Verkleidung. Er trägt allerdings eine Maske, was die Frau nicht macht. Sie schminkt sich ihr Gesicht mit silberner Farbe. Das stelle ich mir ziemlich unangenehm vor, jedenfalls an warmen Tagen. Die ‚Fischfrau‘ sucht die Unterhaltung mit dem Publikum, besonders mit den Kindern. Sie erzählt ihnen kurze Geschichten und lässt sie die Fische anfassen. Der ‚Goldene Mann‘ hat eine andere Rolle gewählt. Er bleibt völlig starr, bewegt sich nie und reagiert auf nichts. Erst wenn die Zuschauer es gar nicht mehr erwarten, macht er plötzlich eine Bewegung, die dann umso eindringlicher wirkt. Als ich nach meinen Fotos noch einmal an ihm vorbeigehe, rufe ich ihm ein ‚Dankeschön‘ zu. Er reagiert mit einem Einzigen, kaum sichtbaren Wimpernschlag. Es genügte mir, ich habe seinen Gruß verstanden.
Wenn man aber gar kein Glück hat und sich partout nicht traut irgendjemanden zu fotografieren (passiert mir noch immer regelmäßig), dann muss man sich eben andere Motive suchen. Wo immer Touristen zusammenkommen, egal ob in London oder Hamburg, finden sich ganz bestimmt Leute unter ihnen, die sich auch ohne Anfrage gerne ablichten lassen. Ja, sie wären ein wenig verwundert, würde man es nicht machen. Sie dürfen also in diesem Beitrag nicht fehlen und damit habe ich Ihnen alle meine Tipps verraten.