Mein heutiges Ziel ist eigentlich kein Ort, an dem man aufregende Motive erwarten würde. Ich tat es jedenfalls nicht und wurde, wie so oft, bestens überrascht. Der Deichtorplatz ist eine gigantische Straßenkreuzung. Aus dem Norden fließt der Verkehr über den Klosterwall herein und teilt sich dann auf, entweder in Richtung Westen (Innenstadt) oder Osten (Elbbrücken). Begrenzt wird der Platz vom Kontorhausviertel, den Gleisen des Hauptbahnhofs und vom Zollkanal. In früheren Zeiten war hier ein reges Kommen und Gehen, denn die Deichtorhallen wurden als Großmarkt genutzt. Vergleichbar mit dem Covent Garden Market in London. In beiden Städten hatte man mit den gleichen Problemen zu kämpfen, nämlich mit stetig zunehmendem Innenstadtverkehr. Das erschwerte den Markthandel erheblich, weil die Kunden mit ihren Kleinlastern keinen Platz mehr fanden. Schließlich zog der Großmarkt aus der Innenstadt weg. Eine Zeit lang wurden die Hamburger Hallen noch als Blumengroßmarkt genutzt (Covent Garden lässt grüßen), bis man 1984 auch diese Nutzung aufgab. Die Hallen standen leer, dienten keinem Zweck mehr und warteten auf ihren Abriss. Zum Glück wurde das verhindert. Heute werden in den Deichtorhallen, es sind zwei Gebäude, zeitgenössische Kunst und Fotografie gezeigt. Auch in London hatten sich die Stadtverantwortlichen rechtzeitig besonnen und ihre Pläne für ein Neubauviertel gestoppt. Stattdessen wurden die alten Markthallen restauriert und sind heute eines der beliebtesten Touristenziele.
Mein Weg zum Deichtorplatz führte mich aber zunächst am Spiegel-Haus auf der Ericusspitze vorbei. Es ist eines der frühesten Gebäude der HafenCity und markiert die nordöstlichste Ecke des Stadtteils. Die Einweihung des Hauses fand schon 2011 statt und setzte damals den Maßstab für die vielen anderen Gebäude, die noch folgen sollten. Das gilt nicht nur für die Gestaltung, sondern auch für die Technik. Das Haus ist klima- und energiefreundlich konzipiert, mit modernster Isoliertechnik versehen. Der markante Grundriss, mit einigen sehr spitzen Ecken, ist der Grund dafür, dass man immer wieder neue und interessante Sichtwinkel findet. Auf dem Dach leben übrigens zwei Bienenvölker.
Gleich hinter der Oberbaumbrücke, die den Zollkanal überspannt, fällt mir ein kunterbuntes Haus auf. Eigentlich ist es gar kein Haus, jedenfalls nicht aus dem üblichen Material gebaut. Was da so kunterbunt vor mir steht, ist ein ziemlich großer Quader aus zusammengefügten Containern. Der Name ‚Phoxxi‘ prangt auf allen Seiten. Ein großes Bauschild informiert mich über das farbenfrohe Gebäude. Es handelt sich um eine temporäre Ausstellungsfläche für Fotografie, weil das eigentliche Haus zurzeit renoviert wird. Was für eine schöne Idee, die Fotos trotzdem zu zeigen und dann auch noch in einem so kreativen Ausweichquartier. Gleich daneben schließt sich der ehemalige Berliner Bahnhof an. Die Nutzung wurde aufgegeben, nachdem der Hauptbahnhof seinen Betrieb aufgenommen hatte. Der alte Bahnhof ist Teil der heutigen Deichtorhallen.
Als nächstes Ziel steuere ich das Kontorhausviertel an, das gleich am gegenüberliegenden Ende des Deichtorplatzes beginnt. Erst einmal muss ich aber über die Straßen kommen. Nicht einfach, bis mir eine Idee kommt. Vielleicht kann man den Zugang zum U-Bahnhof Steinstraße nutzen? Man kann, der Tunnel wurde quer unter der Straße durchgezogen, mit Treppen an beiden Seiten. Vielleicht liegt es am besonders schönen Wetter, aber der Unterschied zwischen Ober- und Unterwelt hätte nicht größer sein können. Ich bin, nun ja, sagen wir mal ‚beeindruckt‘.
Das Kontorhausviertel wurde rechtzeitig unter Denkmalschutz gestellt und gehört heute zum UNESCO-Kulturerbe. Die Bürohäuser, eigentlich Zweckbauten, haben die traditionelle Backstein-Fassade. Ein eher dunkler, braun-roter Klinker war in Hamburg stets die erste Wahl, wenn es um repräsentative Bauten ging. Der Stein ist hochwertig, funktional und wirkt kein bisschen protzig. So gefiel es unseren protestantisch geprägten Vorfahren in ihrer Hansestadt. Für die Architekten war das Material eine Herausforderung, denn es drohte optische Langeweile. Zum einen waren die Häuser, die Kontore genannt wurden, riesig, zum anderen wirkt eine dunkel gemauerte Fläche kaum aufregend. Es sei denn, man kann mit Kelle und Stein umgehen. Dann lässt sich mit dem Klinker allerhand anstellen. Man lässt die Steine ein wenig hervorstehen und schon entsteht ein Muster. Je größer die Wand, desto dekorativer die Wirkung. Im Kontorhausviertel müssen sich wahre Maurermeister getroffen haben und gemeinsam haben sie ihr Bestes gegeben. Ein schöner Nebeneffekt, den ich besonders mag, ist, dass man bei jedem Besuch ein neues Detail entdeckt. Da wird das Fotografieren nie langweilig.