Letztens war ich im Nikolai Quartier unterwegs und heute habe ich mir die Straßen rund um die St. Katharinenkirche angesehen. Als Orientierungsplan habe ich mir die Grenzen des alten Kirchspiels in meine Karte eingezeichnet. Mal sehen, wie das damals so war, als die Menschen noch rund um ihre Kirche wohnten und arbeiteten. Ich bin immer in Sichtweite des hohen Kirchturms, selbst dann, wenn ich mich bereits an der Grenze zum Nachbar-Kirchspiel aufhielt. Schon nach wenigen Metern wurde mir klar, wie klein die Fläche war. Wie eng die Menschen zusammenlebten. Hier kannte man sich, weil man sich täglich begegnete.
Die Straßen verliefen rund wie die Sichel des Mondes, denn sie folgten dem Wasser. Die Häuser waren schmal, aber tief. Vorn an der Straße befand sich der Wohnteil, in der Mitte das Kontor und hinten, am Fleet, der Speicher. Die Waren wurden mit der Schute angeliefert und dann mit der Winde auf die Böden gehievt. Ein Prinzip, das sich so gut bewährt hatte, dass man es auch in der viel später erbauten Speicherstadt übernommen hatte.
Das ganze Gebiet rund um die Katharinen Kirche wurde im Zweiten Weltkrieg schwer zerstört. Kaum ein Haus blieb stehen. Mit den Trümmern wurden später viele Fleete zugeschüttet. Man brauchte sie nicht länger, weil der Hafen sich inzwischen an der Elbe angesiedelt hatte. Leider waren die Städteplaner gar nicht am Erhalt der Häuser interessiert. Was noch stand, wurde in den Nachkriegsjahrzehnten rigoros abgerissen. Das ist schade und geht auch anders. London ist ein Beispiel. Auch dort waren ganze Stadtteile während des Krieges in Schutt und Asche gelegt worden, aber man baute das meiste original getreu wieder auf.
Der Hamburger Brand (1842), der ganz in der Nähe, nämlich in der Deichstraße ausgebrochen war, hatte erstaunlicherweise die Häuser im Cremon verschont. Ihre Zerstörung fand erst hundert Jahre später statt. Nur ganz wenige Gebäude blieben stehen. Man hat ihre Fassaden, die Fenster, längst modernisiert. Aber die alten Luken, durch die die Waren auf die Böden transportiert wurden, sind noch heute zu sehen. Immerhin etwas, womit sich die eigene Fantasie dann beschäftigen kann, um ein ganzes Bild zu erschaffen.
Das Kirchspiel umfasst wirklich nur wenige Straßen: Den Cremon, Grimm, Gröninger Straße, Steckelhörn und Bei den Mühren. Von der westlichen Grenze bis zur östlichen messe ich 620 Meter und von Nord nach Süd sind es gerade einmal 300 Meter. Mit anderen Worten, so ein Kirchspiel war einfach die nächste Umgebung der Kirche. Immer wieder sehe ich die Türme der Nachbargemeinden, St. Petri und natürlich den ‚Riesen‘ von St. Nikolai. Eine Auffälligkeit erkennt man auf der Karte. Das Gebiet der Kehrwieder-Halbinsel und der Holländische Brook wurden eingemeindet. Sie stechen wie lange Finger aus der Fläche heraus. Beim Kehrwieder handelt es sich um das komplette Südufer des alten Hafens. Wirtschaftlich eine herausragende Adresse. Und am Holländischen Brook fanden Flüchtlinge aus den Niederlanden eine neue Heimat. Diese kleine Straße und das Fleet vor der Haustür sehen noch heute ein wenig anders als alle anderen Orte aus. Sie haben durchaus eine Ähnlichkeit mit den Grachten.
Nach einer guten Stunde bin ich wohl durch alle Straßen des Kirchspiels entlangspaziert. Es gibt bestimmt noch einige Geheimnisse zu entdecken, das ist auch gut so, denn ich komme gerne gelegentlich zurück. Historische Zeugen waren kaum zu finden, aber wenn man an einem so schönen und sonnigen Wochenende sich hier vor Ort gedanklich zurückversetzt, dann fühlt man sich durchaus mit den Ahnen verbunden.