Der Baumwall ist so alt wie der Hafen und fast jeder Hamburger wird mit dem Namen etwas anfangen können. Manche denken vielleicht an die Straße, andere an die gleichnamige U-Bahnstation und Historiker an die nächtliche Hafensperre. Die brauchte man, um sich vor Eindringlingen zu schützen. Sobald es dunkel wurde, zog man dicke Eichenstämme, die tagsüber in der Elbe schwammen, ganz einfach quer in die Hafeneinfahrt. Eine einfache, aber wirkungsvolle Methode. Der so errichtete ‚Baumwall‘ schütze Hafen und Speicherhäuser vor möglichen Dieben.
Heute würde ein Baumstamm nicht ausreichen, um den Hamburger Hafen abzuriegeln. Die wertvollen Güter sind über eine weite Fläche verteilt. Kleinere Dinge warten im Container auf ihren Weitertransport, große Teile lagern in Speichern oder Schuppen auf speziellen Kaianlagen. Aber der Name ‚Baumwall‘ hat die Jahrhunderte überdauert. Der Bahnhof ‚Baumwall‘ ist der perfekte Ort, um den Hafen zu besuchen. Dort fährt die U-Bahn auf einer Brücke (Viadukt) und deshalb hat man bereits beim Aussteigen den besten Überblick. Die Straße ‚Baumwall‘ ist ziemlich kurz (180 m), dafür aber hoch frequentiert. Sie ist Teil der sogenannten Hafenrand-Straßenverbindung und wird vierspurig befahren. Für Fußgänger eine Geduldsprobe, denn die Ampelschaltung bevorzugt klar den Autoverkehr. Hat man endlich grünes Licht, dann schafft man es nie weiter als bis zum Mittelstreifen. Dort wartet man dann erneut geduldig ab. Dabei gibt es eine Alternative, die aber gut versteckt wurde. Ich habe einige Wochen benötigt, um sie zu entdecken. Es gibt nämlich einen Fußgängertunnel, der parallel zur Alstermündung verläuft. Er startet am nördlichen Ende der Niederbaumbrücke, führt dann unter der Otto-Sill-Brücke und dem Baumwall hindurch und bringt einen sicher bis zur Schaartorbrücke/Steinhöft.
Wer dort gar nicht hin will, lenkt sich anders ab. Während man auf dem Mittelstreifen, unter der U-Bahn Brücke, auf das grüne Licht wartet, wird man vielleicht das gegenüberliegende Gebäude betrachten. Es ist ein Hingucker und gleichzeitig eines der ältesten Bürohäuser bzw. Kontore. Gebaut von der Familie Sloman, die Kaufleute und Schiffsmakler waren. Eine Dynastie in der Geschichte des Hamburger Hafens. Sie stammten aus England, Great Yarmouth, wo William Sloman 1742 geboren wurde. Er war Kapitän und hatte mit seinem Schiff ‚The Beaver‘ eine Handelsreise von London aus gestartet. Am 3. September 1785 lief sein Schiff im Hamburger Hafen ein und das war vermutlich der erste Kontakt für William mit seiner neuen Wahlheimat. Sechs Jahre später ließ er sich mit Frau und Kindern in Hamburg nieder. Als sein Sohn Robert Miles Sloman die väterliche Firma übernahm, war man bereits eine feste Größe in der Hamburger Kaufmannschaft. Der gleichnamige Enkel führte die Erfolgsgeschichte fort. Alle drei Männer sind an der Fassade des Sloman Hause zu sehen. Ein Detail ist mir dabei aufgefallen. In allen Chroniken wird für den Gründer William Sloman das Jahr 1744 als Geburtsjahr genannt. An der Fassade ist aber die Lebenszeit mit 1742 – 1800 zu lesen. Kaum denkbar, dass man sich in diesem Punkt geirrt hatte. Ich vermute deshalb, dass Familienforscher das Taufdatum (12.04.1744) automatisch als Geburtsjahr bewerten. Meistens liegt man damit auch richtig, aber nicht immer.
Die Nachfahren von William Sloman haben in interessante Familien hineingeheiratet. Bekannte Namen und Persönlichkeiten können gefunden werden, u.a. Freiherr Carl Friedrich von Weizsäcker, Graf Claus von Lambsdorff und auch Gräfin Clara von Bismarck. Dazu natürlich die üblichen verwandtschaftlichen Verbindungen in andere hanseatische Kaufmannsfamilien, wie beispielsweise Amsinck, Crasemann oder Edye.
Zurück zum Baumwall, der im Jahre 1662 durch ein anderes Gebäude viel Aufmerksamkeit bekam. Direkt am Elbufer errichtete man das sogenannte ‚Baumhaus‘, das fast 200 Jahre lang das Hafenbild bestimmte. Ohne Übertreibung könnte man es als Vorläufer der heutigen Elbphilharmonie betrachten. Das Baumhaus diente vielen Zwecken. Anfangs als Zollgebäude, wo auch die Hafenaufsicht stationiert war. Dann wurde es ein Wirtshaus und schließlich nutzte man die Räumlichkeiten als Konzerthalle. Festliche Hochzeiten wurden auf der Dachterrasse gefeiert, wenn die Brauteltern es sich leisten konnten. Ähnliches gilt für die Elphi, heute Konzerthalle, Luxushotel und Touristenmagnet und früher Lagerhaus für Kakao- und Kaffeebohnen.
Als der Engländer Thomas Nugent (Reiseschriftsteller) 1768 Hamburg besuchte, machte das Baumhaus großen Eindruck auf ihn. Er beschrieb es ausführlich in seinem Reisebericht, aus dem ich zitiere:
Das Baumhaus wird so genannt nach seiner Lage bei den ‚Bäumen‘. Das sind große schwimmende Gerüste, über den Fluß geworfen und mit einer Kette befestigt, um zu verhindern, daß irgendwelche Schiffe nach Sonnenuntergang in den Hafen einfahren können. … Ich konnte nicht erfahren, wozu das Baumhaus erst dienen sollte. Jetzt ist es ein Gasthaus, wo man die größte Auswahl von Weinen und Likören in ganz Hamburg anbietet. Das Obergeschoß besteht aus einer enorm großen Halle (Anm.: 11,75 x 22,57 m), welche die volle Breite und fast die ganze Länge des Hauses einnimmt. Es ist ein großartiger Aussichtspunkt, von wo man durch ein einziges Fenster den Blick schweifen lassen kann.
Die Spezialität des Hauses war Stockfisch, der vielleicht saftiger schmeckt, als ich ihn mir vorstelle. Neben den Feierlichkeiten diente das Haus auch einem technischen Zweck. Es war nämlich der Endpunkt der Telegrafenlinie, die bis nach Cuxhaven führte. So erfuhr man von einlaufenden Schiffen, bevor ihre Masten zu sehen waren. Wunderwerk Kommunikation. Übrigens diente Kaispeicher A, also die ehemalige Elphi, viele Jahrzehnte als exakter Zeitmesser, der den auslaufenden Schiffen anzeigte, wann es zwölf Uhr mittags war. Danach justierte der Kapitän seine Borduhr und die zeigte hoffentlich auch nach Tausenden von Seemeilen noch immer die richtige Uhrzeit an. Die brauchte man nämlich für die Positionsbestimmung mit dem Sextanten.
Da lassen sich also einige Parallelen zwischen Baumhaus und Elphi finden, was mich irgendwie erfreut. Da schließen sich immer wieder Kreise und das scheint mir richtig zu sein. Nun haben Sie also ein wenig Material, über das Sie nachsinnen können, wenn Sie das nächste Mal vor der roten Ampel am Baumwall warten. Schauen Sie sich das Sloman Haus an und dann drehen Sie sich zur Elbe und entdecken dort die Elphi, die die gute alte Tradition des Baumhauses fortführt.
Und falls Ihnen das Slomanhaus vertraut erscheint, obwohl Sie noch nie am Baumwall waren, dann ahne ich den Grund. In der TV-Serie ‚Notruf Hafenkante‘ nutzt man die Fassade. Sie ist mit dem Schriftzug „Elbkrankenhaus EKH“ zu sehen. Alles Schwindel, in diesem Gebäude wurde noch nie operiert. Jedenfalls nicht im medizinischen Sinn. – Übrigens war ich heute an den Landungsbrücken, wo ein großer Polizeieinsatz stattfand. Die Flaniermeile war auf ganzer Breite gesperrt, wir Fußgänger durften treppauf-treppab einen Umweg wählen. Ein Krad lag auf dem Weg, ein Polizeiwagen sperrte ab, ein Notarzt lief zu den Kollegen in Uniform. Ich ging schnellstens weiter zum Fischbrötchen Stand. Auf dem Rückweg das gleiche Szenario, noch wurde fotografiert, vermessen, dokumentiert. Gerade als ich auf Höhe des Unfallfahrzeuges bin, gibt es einen ohrenbetäubenden Knall. Dem gleich ein Zweiter folgte. Man hatte offensichtlich eine kontrollierte Sprengung durchgeführt. Terror Anschlag? Die Beamten trugen Ohrenschutz, ich natürlich nicht und niemand hatte mich vorgewarnt. Abends im Fernsehen erfahre ich, dass das Geböller Teil der Sirenenübung ist. Ein Polen-Böller verblasst neben diesem Knall. Viermal knallt es, danach sehe ich einige Dutzend Leute, die sich schmerzhaft ans Ohr fassen. Also, das hätte man besser machen können, schließlich war es eine Übung. Die Böllerschüsse sollen übrigens die Hafenbewohner vor extremen Hochwasser warnen. Sie eignen sich aber auch, um Touristen zu Tode zu erschrecken. Da habe ich dann wieder etwas dazu gelernt. Langsam hat sich mein Trommelfell von dem Angriff erholt, aber auch mir steckt der Schreck noch immer in den Knochen.