Der Titel mag unpassend sein, aber er fiel mir spontan zu meinem heutigen Thema ein. Es geht um die Taufe oder genauer gesagt um das Taufbecken in der St. Michaelis Kirche. Nun bin ich selbst kein Kirchengänger, aber man hat mich getauft. Vermutlich aus ganz praktischen Gründen. Man wollte vorbereitet sein, falls ich irgendwann einmal ganz in Weiß vor den Traualtar treten möchte. Daraus wurde nichts, selbst der Standesbeamte wartet noch heute auf mich. Aber an meine Taufe kann ich mich trotzdem noch immer gut erinnern. Meine Mutter hatte Geduld und verließ sich auf ihren Menschenverstand. Sie wartete meine ersten vier Lebensjahre ab, bevor der große Tag dann endlich stattfand. Sie empfand es als wichtig, dass ich den bedeutsamen Tag bewusst erlebte. Der Plan hat funktioniert und meine Taufzeremonie ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben.
Meine Taufe fand Anfang September statt. Man hatte den Geburtstag meiner Großmutter gewählt. Das Wetter war schön, aber ich hatte schlechte Laune. Schuld war das extra für mich genähte Taufkleid. Ich wollte es nicht anziehen, weil die Spitze und der mit Taft verstärkte Rock auf der Haut kratzten. Damals wusste niemand, dass ich autistisch bin, bis auf mein Inneres. Das kannte meine Abneigungen vom ersten Tag an. Ich liebte bequem sitzende, kuschelige Kleidung, nicht die engen Sonntagskleider, in denen man sich nicht schmutzig machen durfte.
Es waren schon am Morgen Gäste gekommen, darunter meine Großeltern, die als Taufzeugen mit an Bord waren. Sie hatten Geschenke mitgebracht, was meine Laune gleich wieder hob. Ich stand ohne Frage im Mittelpunkt des Geschehens. Das gefiel mir schon besser. In der Kirche war es nicht anders. Der Pastor hatte freundliche Augen und hielt mich fest in seinem Arm. Als er mir dann aber Wasser auf die Stirn spritzte, kippte die Stimmung schlagartig um. Das hatte ich nicht erwartet und empfand es als übles Vertrauensfoul. Mein Ärger musste raus, ich fing an zu zappeln, Tränen liefen, schließlich brüllte ich wie am Spieß. Vielleicht war es gar nicht so laut, aber Akustik und Halleffekt im fast leeren Kirchenraum wirken wie ein Verstärker. Zum Glück ließ er mich nicht fallen. Es hätte also schlimmer kommen können und dann hätte der heutige Titel bestimmt gepasst.
Das Taufbecken im Michel wird von drei kleinen Engeln gehalten. Das machen sie seit 1762 und man kann sich kaum vorstellen, wie viele Hamburger seitdem hier getauft wurden. Möglicherweise war einer von ihnen mein Großvater, der zwar in Ottensen zur Welt kam, aber sein Leben lang eine enge Beziehung zum Michel hatte. Vielleicht begann das aber auch erst später, denn er und seine Frau gaben sich 1917 vor dem Altar das Ja-Wort. Mich hat aber ein anderer Täufling auf die Idee gebracht, mir das Becken einmal ganz genau anzusehen. Es handelt sich um einen prominenten Musiker, der 1833 in der Caffamacherreihe geboren wurde. Ich spreche natürlich von Johannes Brahms, den ich nicht alleine durch seine Musik kenne. Meine erste Aufmerksamkeit bekam er, als ich herausfand, dass wir gemeinsame Vorfahren haben. Unsere Familien stammen aus Dithmarschen. Übrigens gehören auch Matthias Claudius und Theodor Storm zum erweiterten Familienkreis.
Der Taufstein in der Michaeliskirche musste einige Katastrophen überstehen. Darunter zwei Brände und zwei Weltkriege. Jedes Mal konnte das wertvolle Stück gerettet werden. Gefertigt wurden die Figuren bzw. das komplette Taufbecken in Livorno (Italien), wo es in einem Steinbruch jahrhundertelang auf seine Verwendung gewartet hatte. Die Kosten übernahmen Hamburger Kaufleute, deren Namen in den Deckel des Beckens eingraviert wurden.
Auf der Webseite der Kirche ist man sich sicher, dass dem berühmten Mann das Sakrament der Aufnahme bei ihnen gespendet wurde und darüber hinaus soll Brahms dort auch seine Konfirmation gefeiert haben. Andere haben Zweifel. Eigentlich sollten die Kirchenbücher genaue Auskunft geben, aber möglicherweise wurden sie Opfer eines Brandes. Anlässe gab es ja genug, siehe oben. Wie wäre es mit einer weiteren Version? Vielleicht wurde Brahms erst anlässlich seiner Konfirmation getauft? Das gefällt mir gut, denn dann gehörte auch er zu den Menschen, die sich an diesen Tag lebenslang erinnern können.
Die Frau mit den berühmten Ur-Ur-Ur-Enkeln:
Maria Lorck war die Tochter von Balthasar Lorck und dessen Frau Margareta von Deventer. Maria hatte zwei ältere Schwestern. Sie heiratete einen Kaufmann in Flenburg. Sein Name war Jürgen Vette. Er starb jung und so ging Maria eine zweite Ehe mit Hans Lange ein. Er war Seidenhändler. Durch die Tochter Anna aus der ersten Ehe ist sie eine direkte Vorfahrin von Matthias Claudius. Ihre beiden Töchter aus zweiter Ehe führen in gerader Linie zu Theodor Storm und Johannes Brahms. Die berühmten Männer sind entfernte Cousins.