Wallanlage

Vor gar nicht langer Zeit, hatte ich in diesem Blog bedauert, dass so wenig historische Bausubstanz die Zeit überdauert hat. Durch mehrere große Brände und die katastrophale Vernichtung während des 2. Weltkriegs wurde der Stadtkern mehrmals in Schutt und Asche gelegt. Dort, wo einst die Hammaburg errichtet wurde und sich langsam eine kleine Ortschaft entwickelte, muss man heute genau hinsehen, um noch etwas aus den Anfängen zu entdecken. Oder wenigstens zu erahnen. Fängt man aber an ein wenig tiefer zu graben, dann tauchen etliche Namen aus der Vergangenheit auf, die uns noch heute täglich im Stadtbild begegnen. Ein Beispiel wäre die U-Bahnstation Baumwall, denn sie erinnert an den mächtigen Eichenstamm, der auf der Elbe als wirksame Barriere gegen feindliche Schiffe eingesetzt wurde. Tagsüber lag er parallel zum Ufer, aber sobald es dunkel wurde, zog man ihn quer in die Einfahrt zum Binnenhafen. Damit war sichergestellt, dass niemand von der Wasserseite aus eindringen konnte. Damals hatte Hamburg noch eine hohe Stadtmauer, später dann einen ringförmigen Wall, der das ganze Gebiet umschloss. Nur wenige Tore waren in den Festungsring eingebaut. Ihre Namen sind noch heute in Gebrauch: Millerntor und Dammtor, das Steintor, Deichtor, Brooktor und Sandtor. Das sind noch immer geläufige Straßennamen, die uns zeigen, wo die alten Tore waren. Und damit wären wir mitten im Thema, nämlich bei der mächtigen Wallanlage, die Hamburg einst umgab. Einen Teil davon, nämlich den westlich gelegenen, kennen wir heute als Park mit Spiel- und Sportflächen, genannt ‚Große Wallanlagen‘. 

 

Kartenquelle: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Lizenz CC0, Digitalisat. Bearbeitung: bluepeter.de

 

Eine erste Stadtmauer wurde bereits im 13. Jahrhundert errichtet. Sie verlief rund um die heutige Altstadt. Der Ausbau zu einem breiten Wall erfolgte 1475. Die Stelle, wo es begann, kennen wir, denn sie heißt noch heute ‚Alter Wall‘. Das ist die Straße rechts neben dem Rathaus, die bis zum Mönckedammfleet (Rödingsmarkt) verläuft. Auf dieser geraden Linie verlief der Schutzwall, denn Hamburg war damals deutlich kleiner. Allerdings wuchs die Stadt schnell und genau deshalb wurde der Wall und auch schon zuvor die Ring-Mauer zum Hindernis für die eigene Stadtentwicklung. Andererseits benötigte man einen Schutz gegen feindliche Truppen, die jederzeit aus allen Richtungen einfallen konnten. Wobei die Elbe einen natürlichen Schutz bot, solange sich keine feindlichen Schiffe näherten.

Man plante deshalb im Großen und gab grünes Licht für den Baubeginn einer ganz neuen Wallanlage. Sie sollte viel weiter im Westen stehen, genau dort, wo noch heute der Grünstreifen ‚Große Wallanlagen‘ zu finden ist. Der Niederländer Johan van Valckenburg wurde mit dem Bau beauftragt und er verstand sein Handwerk. Der Grundstein wurde 1616 gelegt und acht Jahre später war der gewaltige Festungsring fertiggestellt. Hamburg war nun rundherum von einem hohen Wall mit zahlreichen Bollwerken umgeben. Nach außen, zur Feindseite wurde Sand aufgeschüttet, sodass im Fall des Falles der Gegner bergan stürmen musste. Eine strategisch schwache Position. Man hätte kein Jahr später anfangen dürfen, denn seit 1618 zogen die Katholiken gegen die Protestanten. Ein blutiger Krieg nahm seinen Anfang, der unzählige Städte in ganz Europa dem Erdboden gleich machte. Erst mit dem Westfälischen Frieden (1648) wurde der 30-Jährige Krieg beendet. Zwei Generationen hatten nichts anderes als Krieg gekannt. Hamburg gehörte zu den ganz wenigen Städten, die nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde. Es gab keinen einzigen Angriff auf die Hansestadt, weil die gerade errichtete Wallanlage als unbezwingbar eingeschätzt wurde. Dem Erbauer van Valckenburgh konnte man nicht mehr danken, denn der war nach Fertigstellung nach Spanien geeilt, wo er kurz später im Kampf den Tod fand. 

Einige Jahrzehnte später, gegen Ende des 17. Jahrhunderts, nahm man eine Erweiterung an der Wallanlage vor. Im Westen entstand die Sternschanze und im Osten das ‚Neue Werk‘, das den Stadtteil St. Georg schützen sollte. Erst zweihundert Jahre später, als die Franzosen anrückten, erkannten die Hamburger, dass ihr Festungswall die Truppen von Napoleon nicht aufhalten wird. Statt sich auf einen sinnlosen Kampf einzulassen, schloss man lieber die Stadttore auf. Eine Hamburger Delegation ritt den anrückenden Franzosen entgegen und traf südlich der Elbe auf den Feind. Man begrüßte ihn höflich, überreichte die Stadtschlüssel und handelte aus, wie viel der Frieden kosten sollte. Es funktionierte mehr oder weniger gut. Hamburg entging dem Angriff und damit der Zerstörung, aber die Bevölkerung musste über lange Zeit die feindlichen Soldaten beherbergen. Jeder Hamburger, der über ein Zimmer verfügte, wurde verpflichtet, einen Soldaten aufzunehmen. Der hatte Anspruch auf eine Bettstelle, Verpflegung und Unterkunft. Weil der Hamburger Senat das alles mehr oder weniger freiwillig zugestand, zogen die kämpfenden Eliteeinheiten gleich weiter, Richtung Preußen. In Hamburg ließen sie Söldnertruppen zurück, die oftmals aus Spanien stammten. Lustige, gut aussehende, schwarz gelockte junge Männer. Sehr kinderlieb und eigentlich ganz umgänglich. Ein solcher Soldat wurde dann wohl auch bei meiner Ur-Ur-Großmutter einquartiert, die eigentlich selbst kaum über die Runden kam, aber über ein kärgliches Zimmer verfügte. Dort lebte sie nun mit dem jungen Spanier zusammen. Vermutlich teilten sie sich das einzige Bett, das dort vorhanden war. Jedenfalls wurde im Oktober 1908 ein ca. sechs Wochen alter Junge auf den Stufen zum Waisenhaus gefunden. Er hatte in den wenigen Tüchern, in denen er eingewickelt war, die kalte Nacht überlebt. Er war mein Vorfahre, dessen Herkunft nie geklärt wurde. Aber viele seiner Kinder und Kindeskinder fielen auf, weil sie fast schwarze Haare und leuchtend blaue Augen hatten. Zähle ich eins und eins zusammen, dann kommen möglicherweise zwei heraus, nämlich ein Hamburger Dienstmädchen und ein spanischer Soldat. Längst sind beide tot und doch denke ich oft an sie. Mit ihnen fing meine Familiengeschichte an. 

 

Der Verlauf des Walls auf einer heutigen Karte eingezeichnet. Er umfasst die Neu- und Altstadt. Das Gebiet zwischen Alster und Elbe.

Kartenquelle: Apple Screenshot, Bearbeitung: bluepeter.de

 

Die Bastionen und ihr Erbauer

Ich liebe es stets ein wenig tiefer zu bohren. Dieser Nachtrag über die Bastionen, mag viele Leser langweilen, ich will es aber genau wissen. Deshalb habe ich mir die Mühe gemacht, einmal nachzuforschen, wie das mit den Bollwerken war. Es gab max. 22 Bastionen, so gut wie alle mit einem 5-eckigen Grundriss. Das hatte den Vorteil, dass die Männer mit ihren Gewehren nicht nur nach vorn schießen konnten, sondern auch zu den Seiten. Im Falle einer Erstürmung konnte man sich dadurch gegenseitig Feuerschutz geben. Ergänzend waren 11 kleinere Verteidigungstürme eingebaut worden, hauptsächlich im Süden zur Brookinsel. Diese kleinen Posten nannte man ‚Ravelins‘. Und als ich es nachschlug, stieß ich auch auf den Begriff ‚Glacis‘, der uns noch heute mehrfach im Straßenbild Hamburg begegnet. Er bezeichnet die Erdaufschüttung, die ich schon weiter oben beschrieben hatte.

Die Namen der Bastione (Johann, Albertus … Ericus …) sind übrigens von den damaligen Ratsherren entliehen worden. Es sind ihre Vornamen. Den Architekten hatte ich schon erwähnt, es war der Niederländer Johan van Valckenburgh. Ihm bin ich begegnet, bei meiner letzten Fototour und er brachte mich auf die Idee diesen Beitrag zu schreiben. Ich fand nämlich seinen Namen an einer Brücke im Park ‚Kleine Wallanlagen‘. Kurz danach stieß ich auf eine Gedenktafel, die mir verriet, was Valckenburgh für die Stadt geleistet hat. Ich muss gestehen, dass ich nie von ihm gehört hatte. Zu Lebzeiten war er wohl ein bekannter und begehrter Baumeister. Er hatte bereits in Lüneburg eine Festung errichtet und machte dasselbe für etliche Hansestädte, wie Lübeck, Bremen und Rostock. Die Baustellen wurden zeitlich parallel abgewickelt und van Valckenburgh war ständig auf Reisen, von einer Festung zur anderen. Ein Bild oder eine Figur sind nicht überliefert. Immerhin findet sich die Gedenktafel am Wegesrand in den Großen Wallanlagen und die Aufmerksamkeit hat er sich redlich verdient. Den Text zu seinem Werk findet man auf dem Foto, dass ich mitgebracht habe.