Lister, Isaac Solly (1832-1913)

 

 

Isaac Solly Lister war ein Rechtsanwalt (solicitor) in der City of London. Er war Mitglied der Fishmongers Company und setzte sich nachdrücklich für den Erhalt der Hampstead Heath ein. Diese wenigen Informationen hatte ich mir notiert und fragte mich, wieso ein Nachfahre der Solly Family auf einmal im Fischhandel gelandet war. Die Annahme war voreilig, aber ich brauchte noch Zeit, um es zu bemerken. Ich weiß noch nicht einmal, ob er verheiratet war, wurde aber neugierig auf seine Biografie, als ich erfuhr, wo er wohnte. Das war nämlich direkt am Rand des Naturschutzgebietes Hampstead Heath, eine wunderschöne Gegend, die ich durch einen Londoner Freund ziemlich gut kenne. Er wohnt sozusagen gleich um die Ecke.

Das Haus von Isaac Lister habe ich nie gesehen, denn es steht nicht mehr. Nur wenige Jahre nach seinem Tod wurde es abgerissen. Ein Neubau entstand an gleicher Stelle, der wohltätigen Zwecken diente. Mütter konnten sich dort mit ihren Kindern erholen und später übernahm das ‚Queen Mary’s Hospital‘ die Räume. Zur Zeit von Isaac Solly Lister war das Haus eines der schönsten in der Gegend. Die ‚Times‘ beschrieb es mit den Worten: „It is one of the most charming of the old houses of Hampstead from the days of Queen Anne.“

Damit ist die Zeit-Epoche eingegrenzt. Das stattliche Gebäude muss schon vor 1700 errichtet worden sein. Ab 1700 wurde es als Gaststätte genutzt, die in ganz London bekannt war und den Namen ‚Upper Flask Inn‘ trug. Im Garten hatte man eine Bowlingbahn gebaut, damals eine Attraktion, und im Sommer strömten die Gäste ins Haus. Man konnte wohl auch Zimmer mieten, denn Damen und Herren mit bekannten Namen gehörten zu den Dauergästen. Darunter waren William Congreve (Dramatiker und Dichter), John Locke (Arzt und bedeutender Philosoph), Sir John Vanbrugh (Dramatiker) und Sir Robert Walpole (Premierminister). Sie alle waren Mitglieder des Kit Cat Club und der hatte sich das Upper Flask Inn zum regelmäßigen Treffpunkt gewählt. 

Um 1720 löste sich alles auf. Der Club existierte nicht länger und die ‚Hampstead Spa‘ hatte an Attraktion verloren. Es kamen kaum noch Gäste, der Konkurs klopfte an die Tür. Der Inhaber, ein Mr. Stanton, übergab das Haus an seinen Neffen, der es einige Jahre später seiner Nichte vermachte. Die kam aus einem reichen Elternhaus und brauchte keinen Restaurantbetrieb, sondern ein gemütliches Zuhause. Die neue Besitzerin war Lady Charlotte Rich  einzige Tochter ihrer Eltern und Erbin. Sie trug offiziell den Titel ‚Countess of Warwick‘.

 

 

Nach ihrem Tod kauften einige Gentlemen das Anwesen, bis es schließlich im Jahr 1858 von Isaac Solly Lister erworben wurde. Er lebte dort bis zu seinem Tod, 1913, zusammen mit seiner Schwester. Sein Name hat noch heute einen guten Klang in der Nachbarschaft, weil er es war, der die Hampstead Heath für die Londoner (und mich 😀 ) erhalten hat. Bereits zu seiner Zeit war es eine begehrte Wohngegend und einige vermögende Hausbesitzer fingen an ihre Wege zu sperren. Sie versuchten immer größere Teile des Erholungsgebiets zu kaufen und einzuzäunen. Der kleine Ort Hampstead weitete sich rapide aus und der Kampf um den Erhalt der Heath wurde zu einem Politikum. Isaac Lister wandte sich schließlich an den Chancery Court und es gelang ihm gemeinsam mit zwei Freunden, die Baupläne zu stoppen. Der Gerichtsbeschluss führte dann (1866) zu einem Gesetz, das jede weitere Bautätigkeit innerhalb des Naturgebietes untersagte. Für diesen ‚Metropolitan Commons Act‘ ist man ihm noch heute dankbar, auch wenn sein Name in Vergessenheit geraten ist. Damit das Gesetz nicht doch noch unterwandert wurde, sah sich Lister gezwungen, selbst große Flächen aufzukaufen. Er gab dafür eine beachtliche Summe aus seinem Privatvermögen und erzwang dadurch den öffentlich freien Zugang zur Hampstead Heath. – Bravo, ein nobler Mann!

 

 

London hat ziemlich flaches Terrain und die Hampstead Heath ist eine der größeren Erhebungen. Vom Parliament Hill und der Upper Heath (wo Lister sein Haus hatte), hat man einen fantastischen Blick auf die Innenstadt. Wann immer ich dort bin, fällt mir die Ähnlichkeit zu einem etwa gleich großen Naturschutzgebiet in Hamburg auf. Ich denke an den Duvenstedter Brook und weil ich in der Nähe wohne, kenne ich ihn gut. Irgendwann habe ich gelesen, dass beide Gebiete identisch entstanden sind. Sowohl die Hampstead Heath als auch der Brook in Hamburg sind in der letzten Eiszeit geformt worden. Genau hier war der Rand der gigantischen Gletscher und sie formten die Landschaft. Das ist noch heute, zehntausend Jahre später, erkennbar. Einerseits die sanften Hügel und dann weite, flache Felder. Das waren riesige Seen, wo das Wasser den Untergrund glatt gewaschen hatte. Dazwischen kreisrunde Teiche, die nicht groß sind, aber überraschend tief. Manchmal zehn Meter und mehr. Hier waren riesige Eisberge zur Ruhe gekommen und sie sind dann über Jahrhunderte abgeschmolzen. Dabei entstand das tiefe, noch heute mit Wasser gefüllte Loch.

Bevor ich zu sehr ins Schwärmen gerate, denn ich bin eine begeisterte Naturfreundin, kehre ich lieber zu Isaac Solly Lister zurück. Wieder habe ich eine zufällige (?) Überraschung erlebt, als ich mich näher mit ihm und damit einem meiner Vorfahren beschäftigt habe. Gerne würde ich mich mit ihm einen Abend lang unterhalten, ich denke wir teilen so manches. Aber so soll es auch sein, egal wie nah oder entfernt der Verwandtschaftsgrad auch ist.

Nachtrag

Isaac Solly Lister war auch der Eigentümer eines anderen Hauses in London. Es handelte sich um einen richtigen Palast, im heutigen Stadtteil Enfield. Das ist gar nicht weit von Hampstead entfernt, aber damals war es weit vor den Toren der Stadt. Isaac Solly Lister war Eigentümer des ‚Old Tudor Palace‘, indem schon Elizabeth I. als Kind gespielt hatte. Das Haus ist heute als ‚Enfield Constitutonal Club‘ bekannt. Was Isaac mit dem Haus machte, ist mir nicht bekannt. Er hat es wohl von seinen Vorfahren geerbt; genannt wird ein Daniel Lister, der es bei einer Auktion gekauft haben soll. Vielleicht ein Schnäppchen? Von Isaac ist aber bekannt, dass er bei seinem Wohnhaus in Upper Heath stets darauf bedacht war, keine Schäden durch unbedachte Restaurationen zu verursachen. Wann immer Reparaturen oder größeren Umbauten nötig waren, konsultierte er seinen architektonisch ausgebildeten Gutachter. Zu dem uralten Palast in Enfield gehören auch noch etliche Betriebsgebäude, die rundherum entstanden sind. Inzwischen die High Street des Ortes. Vermutlich hat er dadurch regelmäßige Mieteinnahmen gehabt, die er dann für gute Zwecke, wie den Erhalt der Hampstead Heath, nutzen konnte. Wer den Palast geerbt hat, weiß ich nicht. Ich meine aber, dass er noch immer existiert. Ein triftiger Grund, einmal hinzufahren und nachzufragen.