Was geschah in den letzten 100 Jahren in Hamburg? Welche Ereignisse machten Schlagzeilen und woran kann ich mich noch erinnern? 

 

 

1. November 1948: Das Café Keese bittet erstmals zum Tanz

Das Keese ist offenbar geschlossen.

Das Tanzlokal liegt an der Reeperbahn. Nutzt man den Hinterausgang, dann steht man auf der Seilerstrasse. Auch eine traditionsreiche Adresse. Eigentümer und Ideengeber des Tanzlokals war Bernhard Keese. Jeden Abend feierte man den Ball Paradox. Der eröffnete den Damen eine unerhörte Chance, sie durften nämlich, ganz gegen die Gewohnheiten, einen Herren zum Tanz auffordern. So mancher empfand es als skandalös und dann half nur noch der Fingerzeig auf das Motto des Hauses: ‚Honi soi, qui mal y pense‘.

Der Krieg hatte seine Opfer gefordert, darunter unzählige Soldaten. Die fehlten jetzt, es herrschte Männermangel. Ohne Partner, ohne Familie, war es für Frauen schwer überhaupt nur eine Wohnung zu finden. Also machten sich die Hamburgerinnen abends schick und stürmten das Café Keese. Dort warteten schon die bindungswilligen Herren. Sie trugen ihren besten Anzug, mit gebügeltem Hemd und eleganter Krawatte. Die Schuhe waren auf Hochglanz gebürstet. 

Kurz vor Anbruch des 21. Jahrhunderts war Schluss mit Tanz und Gemütlichkeit. Der letzte Eigentümer des Cafés war verstorben. Die Möglichkeiten einen Mann oder eine Frau kennenzulernen waren inzwischen deutlich einfacher geworden. Gelegenheit bot sich überall, im Supermarkt, im Büro oder gleich im Internet (obwohl das dann doch noch zehn Jahre brauchte, bevor es allgemein verfügbar war). Seit damals wechselten mehrmals die Mieter und Pächter des geräumigen Hauses an der Reeperbahn. Erst zog ein Comedy-Club ein, dann eröffnete ein Fisch-Restaurant seine Tore. Als ich vor wenigen Wochen abends an dem Haus vorbeiging, war die Fassade stockdunkel. Da war niemand, aber ich hätte gerne hineingeschaut oder wenigstens gelauscht, denn das Gebäude ist ganz gewiss voller Erinnerungen und vielleicht raunen sich die Geister die schönsten Geschichten am Abend gegenseitig zu. Gerne hätte ich eine davon aufgepickt.

 

6. November 1987: Der Prinz und seine Lady kommen zu Besuch

Klaus von Dohnanyi begrüßte die Gäste in Hamburg. Die Sonne strahlte vom Himmel, also Kaiserwetter, wenn auch kühl. Schließlich hatten wir November als Charles und seine Frau Lady Diana die Hansestadt mit ihrem Besuch beehrten. Im Reisegepäck hatte sich ein Gerücht versteckt, das damals nur Eingeweihte kannten. Es besagte, dass die Ehe der beiden nicht sehr glücklich sei. Noch zeigten sie es nicht, jedenfalls nicht öffentlich. Vielleicht war der Besuch bei uns auch zu kurz, er dauerte gut 24 Stunden, um einen Skandal zu inszenieren. Das hatte man bereits 1965 erledigt, als die Mutter, Queen Elizabeth II. in Hamburg zu Besuch war. Damals kriselte es gewaltig, aber nicht in der Königsfamilie, sondern beim Hamburger Bürgermeister und Gastgeber Paul Nevermann. Am Abend zuvor kam ihm seine Frau auf die Schliche, dass der Gatte gerne mal fremdgeht. Prompt weigert sie sich am nächsten Morgen, mit ihm die Staatsgäste zu empfangen. Ganz Hamburg erfährt den Grund in der Morgenzeitung. Großes Gelächter, als Nevermann solo auftreten muss.

Zurück zu Charles und Lady Diana. Kaum angekommen, schlenderten sie erst einmal durchs Alsterhaus. Die hatten ‚Englische Wochen‘ ausgerufen und boten alles an, was sie für typisch englisch hielten. Abends dann großer Empfang im Rathaus. Dabei bleibt der amtierende Bürgermeister auf dem Treppenabsatz im Obergeschoss stehen und wartet, wie sich die Gäste die Stufen hinaufwälzen. Das wirkt unhöflich, lässt sich aber nicht vermeiden, denn er folgt damit einer uralten Tradition. Hamburger Bürgermeister kommen ihren Gästen entgegen, aber nur den halben Weg. Charles wird es verstanden haben, denn sein Alltag ist von Traditionen geprägt, von morgens bis spät in die Nacht.

Natürlich waren sie kurz in der Englischen Kirche am Zeughausmarkt und dann noch beim NDR in Lokstedt. Hoch interessiert schauten sie hinter die Kulissen der Tagesschau und was sonst noch geboten wurde. Danach hielt Charles seine Begrüßungsrede im Rathaus in deutscher Sprache. Fehlerfrei und ohne Akzent. Deutsch hat er schon als Kind gelernt, der Vater brachte es ihm bei, der hatte schließlich enge Verwandtschaft bei uns. – Aktuell gibt es wieder Gerüchte. Bald steht die erste Auslandsreise des britischen Königs an. Angeblich will er Frankreich besuchen und möglicherweise einen Abstecher zu uns machen. Vermutlich Berlin, aber wer weiß? Falls es Hamburg sein sollte, dann stehe ich mit Union Jack am Straßenrand und werde ihm zujubeln. God save the King.

 

8. November 2005: A380 landet erstmals in Hamburg

Der Airbus A380 ist ein ziemlich großer Vogel. Ich war niemals in einer solchen Maschine, weil meine Reiseziele nie außerhalb von Europa lagen. Eigentlich erwähne ich dieses Datum nur deshalb, weil es mich immer wieder überrascht, wann bestimmte technische Dinge erstmals auftauchten. Der Jumbo-Flieger ist heute kein Grund mehr, um stehenzubleiben und den Kopf in den Nacken zu legen, wenn er über einen hinwegzieht. Aber kann es wirklich sein, dass das Ding noch keine zwanzig Jahre in Betrieb ist? Ja, es kann. Erst 2007 brachte Apple sein erstes Smartphone auf den Markt. Damals eine Sensation, heute in jeder Hosentasche.

 

29. November 1965: Der HVV wird gegründet

Der Hamburger Verkehrsverbund, kurz HVV, deckt den Nahverkehr in der Stadt und teilweise auch darüber hinaus ab. Ich nutzte ihn nicht oft, aber bin von seinem Webangebot ziemlich begeistert. Egal, ob Streckenplanung im Internet oder Ticketkauf per Smartphone, alles klappt einwandfrei und ist einfach zu bedienen. Wenn jetzt noch die Prepaid Karte eingeführt wird, dann müssen wir uns vermutlich nicht mehr um Preise und Tarifzonen kümmern. Das sollte zentral erfasste werden, allerdings müssen dazu Lesegeräte an allen Bahnhöfen und in allen Bussen installiert werden. Prima Sache, ich kenne es aus London und fand mich sofort damit zurecht. – Gerade hat man das 49-Euro-Ticket erfunden und damit vermutlich alle Abo-Angebote abgeschafft. Selbst die Senioren Monatskarte wäre teurer, das wird sich dann doch niemand mehr kaufen, oder? Für mich lohnt es sich nicht wirklich, denn ich will nicht durch ganz Deutschland reisen. Eine Monatskarte für den halben Preis, nur in Hamburg gültig, wäre mein großer Wunsch. Mal abwarten, was da noch kommt.

 

Und was passierte sonst noch?

Meine Oma hatte im Oktober Geburtstag und das war jedes Jahr der erste Tag im Herbst, um die warmen Kniestrümpfe zu tragen und den Wintermantel anzuziehen. Wir bekamen zwar selten neue Kleidung, aber der Wechsel von den Socken in die Strumpfhose, war stets eine aufregende Sache.

Ich glaube, es war auch im Oktober, wenn wir abends zum Laterne laufen starteten. Ich mochte es nicht. Weder das kalte Wetter, noch die Dunkelheit und schon gar nicht das Singen. Wie peinlich, denn ich war nicht gut im Singen. Meine Mutter merkte schnell, dass ich mich dabei nicht wohlfühlte. Sie ließ sich eine neue Regel einfallen, die mir viel besser gefiel. Statt draußen herum zu stiefeln, durfte ich ins warme Bett kriechen und noch eine Weile wach bleiben. Die Laterne mit der brennenden Kerze wurde am Kleiderschrank befestigt und der Schein ihres flackernden Lichtes wanderte geheimnisvoll über die Zimmerdecke. Dazu leise Musik aus dem Radio. Viel besser als draußen in der Kälte herumzulaufen – danke Mum.

Seit ich fotografiere, und damit habe ich erst als Rentnerin ernsthaft angefangen, interessiere ich mich auch für die Natur. Regelmäßige Spaziergänge im Duvenstedter Brook wurden mir zur lieben Gewohnheit. Und da wird es im Oktober ziemlich laut und munter. Dann beginnt nämlich die Brunft der Rotwildhirsche. Ein ‚röhriges‘ Spektakel, das viele Zuschauer anlockt. Schon ganz früh, in der Dämmerung, stehen die Naturfreunde am Wiesenrand und starren in den Frühnebel, der über der weiten Wiesenlandschaft wabert. Man kann keinen Meter weit sehen, aber man hört das dröhnende Brummen der Hirsche und manchmal sogar ihren heiseren Atem. Sie stehen also nicht weit entfernt und jeder kann nur hoffen, dass sie nicht plötzlich losrennen und uns alle über den Haufen werfen. Denn während der mehrwöchigen Brunft werden die Hirsche ausschließlich von ihren Hormonen gesteuert, da ist jede Vorsicht ausgeschaltet. Ich muss es mir nicht jedes Jahr ansehen bzw. anhören, aber einmal sollte man es erlebt haben. Am besten gleich nach Sonnenaufgang, mitten in der Woche, vielleicht bei Nieselregen. Dann kann es sein, dass man ganz alleine dort steht und dann vergisst man Zeit und Raum.

 

Meistens, wenn man es nicht erwartet, taucht plötzlich ein kapitaler Hirsch auf. Dieser kreuzte meinen Weg zur Mittagszeit. Er hatte einige Hirschkühe gewittert und nahm mich deshalb gar nicht wahr. Gesehen im Duvenstedter Brook.