Historische Adressen

Wir haben Ostern. Die Kinder sind aufgeregt, wollen unbedingt nach draußen.  Sie wissen, dass dort etwas Nettes auf sie wartet. Ich hätte auch Lust auf Eiersuche zu gehen, aber vermutlich hat mich der Osterhase längst aus seiner Kundenkartei gelöscht. Was tun? Gibt es einen Plan B? Aber ja doch, den gibt es eigentlich immer, auch wenn man ihn manchmal partout nicht finden kann. Ich plane einfach meinen ganz privaten Osterspaziergang und der wird mich ins Herz der Altstadt führen. Ich habe einige historische Adressen gesammelt und werde versuchen, ob ich die Orte finden kann. Los geht’s.

 

Erstes Osterei: Katharinenstraße 83

Hier lebten Jakob Hinrich Hudtwalcker mit Ehefrau Sara Elisabeth, geborene Ehlers, und den zahlreichen Kindern. Mir sind zehn von ihnen namentlich bekannt, von denen keines im Kindesalter starb. Damals eigentlich nur in wohlhabenden Familien möglich, denn nur dort gab es gesundes Essen, eine funktionierende Heizung und hygienische Wohnverhältnisse. Die Familie Hudtwalcker lebte in guten bis sehr guten Verhältnissen, denn sie waren erfolgreiche Kaufleute in Hamburg. 

Es begann mit dem Vater Johann Hudtwalcker (gest. 1720), der im Landkreis Stade zur Welt kam. Er ging nach Altona und verdiente dort sein Geld als Käsehändler. Sein Sohn Jakob Hinrich (1710-81) war Kaufmann in Hamburg und agierte als Oberalter in seinem Kirchenkreis. Dessen Sohn Johann Michael Hudtwalcker (1747-1818) gehörte dann schon zur Hamburger Oberschicht. Er war Kaufmann und Senator und heiratete eine Frau aus einer der ältesten, sehr angesehenen Hamburger Familien (Moller vom Baum).

Das Unternehmen ‚Hudtwalcker & Co.‘ hatte sich auf den Handel von Fischtran spezialisiert. Möglicherweise konnte man einen leichten Fischgeruch manchmal in der Katharinenstraße 83 wahrnehmen, aber normalerweise eher nicht. Hier wohnten sie und vielleicht gab es auch ein Kontor in dem Haus, aber sicherlich wurden dort keine Fässer mit Fischtran gelagert. 

Das Wohnhaus ist längst zerstört. Kein altes Gebäude ist in der Katharinenstraße stehen geblieben. Sogar die Straße hat sich verändert, sie wurde verkürzt. Früher flankierte sie eines der alten Fleete, das Steckelhörn, das inzwischen zugeschüttet worden sind. Ich vermute, das Wohnhaus der Familie lag gleich an der Mündung des Steckelhörn, dort, wo die Elbe als Zollkanal noch heute entlang fließt. Gleich daneben steht die Katharinenkirche, zu deren Gemeinde sie vermutlich gehörten. Dann war Jakob Hinrich Hudtwalcker Oberalte in St. Katharinen.

Vor- und Nachfahren von Johann Michael Hudtwalcker.

 

 

Zweites Osterei: Alter Wandrahm 102

Weit laufen muss ich nicht. Wie so oft merke ich wie klein das historische Hamburg war. In wenigen Schritten kommt man vom alten Binnenhafen in die Altstadt. Ich muss nur den Zollkanal überqueren, was ich bei der Jungfernbrücke mache. Schon stehe ich vor der Speicherstadt, in der sich die gesuchte Straße befindet. Die Backsteinhäuser, die heute zum Weltkulturerbe gehören, wurden erst Ende des 19. Jahrhunderts gebaut. Aber schon lange vorher gab es hier Wohnungen und Lagerhäuser und das noch heute existente Straßennetz. Dessen Namen wurden glücklicherweise nie geändert. So habe ich einen sicheren Hinweis, wo ich suchen muss. Anders ist es mit den Hausnummern. Sie existieren nicht mehr. Mit Errichtung der Speicherstadt hatte man eine neue Orientierung genutzt, nämlich die Bezeichnung der Blöcke. Damit waren die einzelnen, sehr großen Häuser gemeint. Sie wurden mit Buchstaben gekennzeichnet und die sind noch heute an den Wänden zu sehen. 

Alter und Neuer Wandrahm sind heute ein Straßenzug. Beidseitig stehen die meist sechsgeschossigen Speicherhäuser, deren Rückseiten direkt am Fleet liegen (Zollkanal bzw. Wandrahmsfleet). In dieser Straße hatte die Kaufmanns- und Reederfamilie Godeffroy ein Wohnhaus, vermutlich gekoppelt mit Kontor und Lagerräumen. Als Mieter werden Peter Godeffroy (1749-1822) und seine Frau Catharina Thornton genannt. Ihre Familie stammte aus Leeds, England und waren natürlich auch Kaufleute.

Bis 1798 wohnte Peter Godeffroy mit seiner Familie im Alten Wandrahm 102. Anschließend zog er an den Jungfernstieg 7 und ließ sich für die Sommermonate ein Landhaus in Dockenhuden bauen. Von den alten Häusern ist nichts mehr übrig geblieben. Als um 1885 die Speicherstadt errichtet wurde, hatte man abgerissen und planiert. Trotzdem kann man sich in die Zeit davor einfühlen, denn auch hier sind sowohl das Straßenbild als auch die Fleete noch immer vorhanden. 

Vor- und Nachfahren von Peter Godeffroy.

 

 

Drittes Osterei: Holländischer Brook 25

Die Straße verläuft parallel zum Wandrahm. Ich muss nur das Fleet queren, was kein Problem ist. Hamburg ist für seine vielen Brücken bestens bekannt. In der Speicherstadt sind mehr als zwei Dutzend davon auf engstem Raum zu finden.  In dieser Straße lebten viele niederländische Einwanderer und deshalb ist es kein Wunder, dass man sofort an Grachten erinnert wird. Die Speicherhäuser sehen hier ein wenig anders aus, aber es sind nur Details, die abweichen. Am schönsten ist es hier im Sommer, wenn die Bäume an der Uferseite in vollem Laub stehen. Soweit sind wir bislang nicht, denn Ostern findet in diesem Jahr sehr früh statt. Das liegt am Vollmond, kurz nach der Tag- und Nachtgleiche, also dem Frühlingsanfang. Das sind die definierten Bedingungen für das Osterfest und theoretisch könnte es frühestens am 24. März stattfinden. Spätestens 28 Tage später.

Im Holländischen Brook gab es eine Mädchenschule, die von Emilie Wüstenfeld geleitet wurde. Genauer gesagt war es eine ‚Hochschule für das weibliche Geschlecht‘. Am 1. Januar 1850 wurde das Institut am Holländischen Brook 25 eröffnet. Dort sollten Frauen aus dem Bürgertum zu Kindergärtnerinnen ausgebildet werden. Zwei Jahre später war das Projekt gescheitert. Es fehlte an Geld und es gab erheblich Widerstand in der Politik. Ausgerechnet Karl Fröbel, der dort als Lehrer agierte, wetterte gegen die Hamburger Einrichtung. Ihm waren die Schülerinnen zu emanzipiert und zu selbstständig. Die Kritik galt natürlich auch der Initiatorin Emilie Wüstenfeld. War Neid im Spiel? 

Heute feiern wir Fröbel als Erfinder des Kindergartengedankens und seine ersten eigenen Schülerinnen wurden noch Fröbel-Gärtnerinnen genannt. Eine davon war meine Großmutter. Sie ging nach ihrer Ausbildung nach England, das muss so um 1910 gewesen sein. Dort fand sie schnell eine Anstellung als Gouvernante, denn die deutschen Kindermädchen galten als die besten ihrer Zeit. Aus heutiger Sicht waren sie streng und unnachgiebig. Aber dem britischen Adel war das sehr recht. Noch heute wird dem männlichen Nachwuchs einiges abverlangt. Das Elite-Internat liegt meistens weit vom Elternhaus entfernt und wird nicht selten als brutale Trennung erlebt. 

Von heute auf morgen sind die Jungs völlig auf sich alleine gestellt. Selbst der heutige König erinnert sich nur mit einem Grausen an die Zeit. Er wurde damals gerade wegen seiner Herkunft auf schwerste gemobbt und hatte niemanden, der ihn verteidigte oder gar Trost spendete. Eine harte Schule, wie er es selbst benannte. 

 

 

Bildquelle der Porträts: in Wikipedia gefunden. Lizenz: gemeinfrei, weil urheberrechtlicher Schutz abgelaufen ist.