Obwohl es rund um die Uhr laut ist, schlafe ich erstaunlich gut in meiner Wohnung in der HafenCity. Weder die PS starken Motoren der Autos, deren Fahrer gerne eine Extrarunde um die Elbphilharmonie drehen, noch die piependen Fahrzeuge am Terminal gegenüber können mich aus meinen Träumen holen. Sie müssen einen Pfeifton geben, sobald sie rückwärtsfahren. Es dient der Sicherheit, ähnlich wie bei Müllfahrzeugen. Allerdings mit dem Unterschied, dass am Terminal rund um die Uhr gearbeitet wird. Aber wie zuvor erwähnt, das stört mich überraschenderweise alles nicht. Ich schlafe immer schnell ein und meistens tief durch, bis die Sonne wieder aufgeht. Vielleicht liegt es an der Seeluft, die schon stark verdünnt, aber noch immer wahrnehmbar durch den Hafen weht. Akustisch ist es eher ein Wunder, denn mein Gehör funktioniert noch besser, als mir manchmal lieb ist.
Gestern Abend passierte es dann. Die Serie riss, wenn auch erst erstaunlich spät. Immerhin wohne ich jetzt schon über ein halbes Jahr in der HafenCity. Der Schlaf war jedenfalls nicht an meiner Seite, als ich zur gewohnten Zeit ins Bett krabbelte. Aber ich war optimistisch, denn die wohlige Wärme würde mich zügig ins Land der Träume bringen. Noch einmal drehte ich mich um, auf meine Lieblingsseite und war bereit zum Abtauchen. Daraus wurde aber nichts. Statt der erwarteten Dunkelheit erlebt ich das Gegenteil. Grelles Licht schien mir direkt in die Augen. Ich blinzelte und sah in einen kreisrunden Scheinwerfer. Der leuchtetet haargenau durch den Zentimeter schmalen Spalt, der zwischen den Außenjalousien stets offen bleibt. Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, was der Grund war. Da kreiste kein Hubschrauber mit Suchscheinwerfer über dem Dach des Nachbarhauses, nein, es war ein ganz natürlicher Verursacher, nämlich der Vollmond.
Schade, dass ich die Gelegenheit nicht nutzte. An ein baldiges Einschlafen war nicht mehr zu denken, das passierte erst Stunden später. Es wäre also Zeit gewesen, um noch einmal auf die Straße zu gehen. Schnell etwas anziehen, die Kamera schnappen und dann durch den Hafen streifen in einer unglaublich hellen Vollmondnacht. Einen Augenblick war ich wirklich willens es zu tun, dann aber stellte sich ein mulmiges Gefühl ein. Falls es Werwölfe gibt, dann waren sie ganz gewiss in dieser Nacht unterwegs. Kurzum, mir fehlte der Mumm. Stattdessen drehte ich mich von der linken auf die rechte Seite, dann wieder zurück, nur um festzustellen, dass es vorher doch bequemer war. Irgendwann, weit nach ein Uhr nachts, stellte sich ein Hauch von Müdigkeit bei mir ein. Inzwischen hatten man sogar am Terminal Feierabend gemacht und die HafenCity versank in die wenigen Stunden Stille, die sich üblicherweise nur mitten in der Nacht einstellen. Der Mond war auch längst auf seiner Bahn weitergezogen und störte nicht mehr. Dafür stellte sich jetzt ein anderer Besucher ein, der mich sofort wieder hellwach machte. Es waren Möwen, die mit einem ohrenbetäubenden Gekreische den Gleitflug zwischen den Häusern genossen. Ein Spiel, dass sie regelmäßig morgens zeigen, aber noch nie nachts gemacht hatten. Ich denke, sie waren auch Vollmond-Opfer, genau wie ich. Sie wussten wohl auch nicht so recht, was sie von der taghellen Beleuchtung halten sollten und drehten sich in ihren Nestern vermutlich ähnlich oft um die eigene Achse. Dann waren sie aber mutiger als ich und nutzen die Gelegenheit für einen wilden und lautstarken Rundflug im Mondschein.
Ich erwachte früh, wenn auch nicht ganz ausgeschlafen. Das Wetter war schön und ich machte ein paar Fotos vom Grasbrookhafen, der gleich vor meiner Haustür liegt. Demnächst sollen dort Segelschiffe einen Liegeplatz bekommen und ich wollte nachschauen, ob davon schon etwas zu sehen ist. Ich kam zufällig bei Niedrigwasser dort an und wunderte mich über den vielen Schlick, der sich in den letzten Monaten im Hafenbecken angesammelt hat. Da wird man wohl noch einige Meter ausbaggern müssen, aber das dürfte kein Problem sein.
Vom Widder-Vollmond oder gar von unheimlichen Nachtwesen kann ich leider keine Bilder zeigen, aber mein Morgenspaziergang hat mich an einige frühlingshafte Plätze geführt und davon habe ich natürlich einige Fotos gemacht.