Das war knapp

Wenn am Südwest Terminal ein Frachter anlegt, freue ich mich auf den Abend. Ich kann dann vom Wohnzimmer aus der Be- und Entladung zusehen. Da drehen sich dann die Krane im Scheinwerferlicht und bugsieren die schweren Container wie kleine Legosteine in den Bauch des Schiffes. Manchmal vergesse ich beim Zusehen die Zeit und verzichte aufs TV-Programm, weil die Live-Unterhaltung viel spannender ist. Vor ein paar Tagen war es wieder einmal so weit. Die Sonne war schon untergegangen, als sich ein Schlepper auf der Norderelbe vorbeizog. Hinter ihm folgte ein Ro-Ro-Auto-Frachter von der Grimaldi Reederei. Ein riesiges Schiff, das am Oswald Terminal anlegt. Am Heck hatte sich ein zweiter Schlepper angetäut. Seine Aufgaben sind das rechtzeitige Abbremsen und den Kurs zu halten. Ein Nachbar von mir, der selbst zur See gefahren ist, erzählte mir, dass die großen Schiffe manövrierunfähig sind, wenn sie nur langsam unterwegs sind. Das ist eines der Gründe, warum Schlepper vorweg und hinterherfahren.

Kaum war der dicke Autofrachter an meinem Fenster vorbeigezogen, da tauchte schon ein neuer Schlepper auf. Auch er war offensichtlich im Dienst, was man an der langsamen Geschwindigkeit und der vollen Beleuchtung erkennen kann. Tatsächlich folgte schon bald der Frachter, die ‚Adam Asnyk‘, der am Südwest Terminal erwartet wurde. Ich war längst hellwach, denn soviel Glück auf einmal passiert nicht alle Tage. Dann wurde mir ein Anlegemanöver geboten, das es in sich hatte. Eine Herausforderung, denn es ging um Zentimeter. Am besten lässt es sich auf der Karte erklären. Das Schiff wird zunächst am Kai vorbeigeführt, kommt dann zum Halt und wird anschließend rückwärts ins Hafenbecken gezogen. Dort legen sich die Schlepper an die seitliche Bordwand und drücken den Frachter gegen die Kaimauer. Im Fachjargon spricht man vom ‚Annageln‘. Sobald die Position erreicht wurde, wird das Schiff von der Festmacher Crew vertäut. Erst dann liegt es fest am Kai. Der Tidenhub, den nur das Schiff mitmacht, muss ausgeglichen werden. Immerhin beträgt er durchschnittlich 3,5 Meter und um die gleiche Länge muss das dicke Tau gekürzt oder verlängert werden. Ein Job für die Schiffsmannschaft. Einer von ihnen bedient stündlich die Winde, um das dicke Tau stramm zu halten.

 

Anlege Manöver am Südwest Terminal. Das Schiff wird rückwärts an die Kaimauer gezogen, damit der Bug in Richtung Norderelbe weist. Im Notfall könnte das Schiff dann ohne Schlepperhilfe den Hafen verlassen.

 

Es dauerte eine Weile, bis man den Frachter an der Kaimauer festmachen konnte. Der Grund waren die Abmessungen. Das Schiff hat eine Länge von 200 Metern und einen Tiefgang von knapp 11 Metern. Das ist schon ein ziemlicher Brocken und am Südwest Terminal sind die Frachter normalerweise deutlich kleiner. Kein Wunder, denn auch die Kaimauer hat eine Länge von 200 Metern und ist am hinteren Ende auch noch durch eine Betonwand begrenzt. Man musste also die ‚Adam Asnyk‘ zentimeterweise rückwärts in das Hafenbecken einschieben. Eine Heckberührung könnte die Schiffsschraube beschädigen und das durfte auf keinen Fall passieren. Andererseits war es auch nicht akzeptabel, dass der Bug in die Norderelbe hinein ragt. Es dauerte eine Zeit lang, aber alles ging gut. Die Schlepper machten ihren Job makellos und konnten den eigentlich etwas zu großen Frachter sicher und fest vertäut am Kai abliefern. 

 

 

Zwei Tage lang lag der Frachter bei C. Steinweg am Südwest Terminal. Dann wurden erneut die Schlepper bestellt, um beim Ablegen zu helfen. Eigentlich sollte das einfacher sein, denn das Schiff lag ja bereits mit dem Bug zur Norderelbe und musste ’nur‘ noch vorwärts gezogen werden. Allerdings in einer sanften Kurve, denn es musste ja sofort dem Lauf der Elbe folgen. Und dieses Manöver war wohl gar nicht so einfach. Kaum hatte man den riesigen Frachter in Bewegung gesetzt, da lag er auch schon quer in der Fahrrinne. Es schien, als wollte er gar nicht auf den Schlepper reagieren, der mit aller Macht das Heck herumziehen wollte. Stattdessen trieb er langsam aber stetig stur geradeaus. Ich kam zufällig gerade ins Wohnzimmer und staunte nicht schlecht. Da nahm ein 30 Meter breites Schiff direkten Kurs auf meinen Balkon! Geistesgegenwärtig habe ich immerhin noch zur Kamera gegriffen und konnte den Augenblick im Bild festhalten. Das sah wirklich dramatisch aus. Aber die Schlepper-Kapitäne kennen ihre Kraftpakete und wissen, was die Schiffe leisten können. Natürlich haben sie die ‚Adam Asnyk‘ noch rechtzeitig in die Spur gezogen und dann ging alles ganz schnell. Der Riese zog majestätisch am Fenster vorbei und folgte der Elbe in Richtung Nordsee. Inzwischen wird er im nächsten Hafen, in Italien, angekommen sein. Hoffentlich an einem Liegeplatz mit etwas mehr Spielraum.