Die Kaispeicher A und B

Bild-Quelle: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg – Lizenz: CC BY-SA 4.0

 

Dieses herrliche Bild aus der Vogelperspektive zeigt und den Hamburger Hafen um 1900. Der Binnenhafen wurde längst zugeschüttet und doch erkennt man die Straßenzüge sofort. Es hat sich bis heute nichts Wesentliches geändert, wenn auch ein ganz neuer Stadtteil auf dem Großen Grasbrook entstanden ist bzw. sich noch im Bau befindet. 

Damals war ein vergleichbares Bauvorhaben gerade realisiert worden. Man hatte die Speicherstadt auf dem Großen Grasbrook errichtet, dort, wo vorher tausende Arbeiter mit ihren Frauen und Kindern in kleinen, schäbigen Hütten lebten. Sie wurden vertrieben, denn Hamburg brauchte ein große, geschlossene Fläche, um die dringend benötigte Freihandelszone zu errichten, die politisch unverzichtbar geworden war. Ein zollfreier Hafen wurde errichtet, mit gigantischen Speicherhäusern, in denen die Waren aus aller Welt lagern konnten.

Zwei Gebäude fielen schon damals auf. Zwei große Speicherhäuser mit prächtiger Fassade. Das eine lag gleich an der Spitze einer Landzunge, direkt am Ufer des Flusses, und das andere etwas weiter entfernt, an der Kaimauer eines der vielen Fleete. Es handelte sich um die beiden größten Speicher im Hamburger Hafen. Praktischerweise nannte man sie einfach ‚Kaispeicher A‘ und ‚Kaispeicher B‘. Als die Speicherstadt feierlich in Betrieb genommen wurde und sogar Kaiser Wilhelm zugegen war, natürlich im Sommer bei strahlend blauen Himmel, war man sich sofort einige, dass der Speicher A ab sofort der Kaiserspeicher sein würde. Bei dem Namen blieb es lange Zeit. 

 

Lage der beiden Speicher

 

Schaut man sich die Lage der beiden Speicher auf der Karte an, wird deutlich, dass der ‚Kaispeicher A‘ besonders günstig positioniert war. An der Spitze der alten Landzunge, unmittelbar am Elbstrom gelegen, konnte er von den großen Schiffen direkt angesteuert werden. Das Hafenbecken hatte dieselbe Tiefe wie die Fahrrinne und deshalb war es den Frachtern möglich bis an die Kaimauer zu fahren. Dort erfolgte die Entladung ohne Umwege direkt vom Schiff in den Speicher. Das war eine enorme Zeitersparnis und ein großer finanzieller Vorteil, denn Zeit ist Geld.

Der nicht minder große Kaispeicher B lag für die großen Frachter unerreichbar. Die Waren, die für ihn bestimmt waren, mussten zuerst auf kleinere Schiffe und Lastkähne umgeladen werden, die dann über die Kanäle zum Speicher fuhren. Dafür ging es dort beim Weitertransport der Güter besonders schnell, denn die Gleise der Güterbahn waren bis in das Haus hinein verlegt worden. So konnten die Züge direkt im Erdgeschoss mit dem Getreide beladen werden, das in großen Silos lagerte. Eine komfortable und trockene Methode, die vom Käufer geschätzt wurde.

 

Kaispeicher A

Erbaut wurde er 1875 durch Johannes Dalmann. Er war der Wasserbaudirektor der Hansestadt und Begründer des heutigen Hafens. Dalmann vertrat die Idee des offenen Hafens mit Deichen zum Schutz gegen Hochwasser. Andere waren für ein Sperrwerk im Fluss, das den Bau der aufwendigen und teuren Deiche überflüssig machen würde. Aber eine Sperre im Fluss hätte auch zur Folge, dass die Schiffe nicht mehr in das Stadtgebiet fahren könnten. Wir hätten dann den Hafen weit weg, nahe an der Elbmündung bauen müssen. Durchaus eine Alternative, die etwa die Stadt London gewählt hat.

Der ‚Kaiserspeicher‘ war von Anfang an eine Sensation. Die Größe, die Lage und die beeindruckende Fassade machten Eindruck. Bis heute, obwohl das Original im Krieg schwere Schäden erlitten hat und zu einem Neubau führte. Dessen Fassade war deutlich schlichter gehalten, schließlich handelte es sich doch ’nur‘ um ein riesiges Lagerhaus für Kakao und Tee. Heute werden diese Dinge im Container verschickt und die brauchen lediglich Stellfläche, aber kein Dach über dem Kopf. Deshalb wurden die Speicher mehr und mehr zwecklos. 

Eine besondere Funktion des ‚Kaispeichers A‘ war der Zeitball. Ich kann mich noch daran erinnern, denn er wurde mir während einer Hafenrundfahrt erklärt. Ich war Kind, kann mich aber noch gut daran erinnern. Es hat wohl Eindruck auf mich gemacht, bzw. ich hatte es möglicherweise nicht richtig verstanden und grübelte noch tagelang darüber, wie ein ‚Luftballon‘ zur Zeitmessung dienen kann. Damals hatte der Speicher einen besonders hohen Turm an der Westseite. Man konnte ihn vom Fluss aus gut sehen. Hoch über dem Dach des Turms schwebte ein weißer Ball, der an einer Eisenkonstruktion befestigt war. Um Punkt zwölf Uhr mittags fiel dieser Ball aus der Höhe hinab. Auf diesen Moment warteten die Offiziere an Bord der Schiffe, die auslaufen sollten. Sie nutzen diesen einen Moment, von dem sie die genaue Uhrzeit kannten und justierten damit die Chronometer an Bord des Schiffes. Theoretisch hätten sie wohl auch auf die Turmuhr der Michaeliskirche schauen können, aber deren Genauigkeit war zumindest nicht amtlich garantiert. Dazu kommt, dass die Kirche erst 1912 erbaut wurde, nachdem sie schon zweimal abgebrannt war.

Was sich in meine Erinnerungen so eingebrannt hat, war also tatsächlich der Original Kaispeicher A. Mit roter Backsteinfassade, aber in wilhelminisch-verschnörkelter Ausführung. Im Jahr 1963 erfolgte dann der Neubau, der wesentlich flacher und schlichter war. Man baute zweckdienlich und sah keinen Grund, das Aussehen eines Lagerhauses optisch zu verzieren. Erst heute ist der schmucklose Bau aus seinem Dornröschenschlaf erwacht und wurde über Nacht zum meist fotografierten Hamburger Bauwerk. Dieses unscheinbare Lagerhaus dient nämlich heute der Elbphilharmonie als stabiler Sockel. Ein tolles Comeback und ziemlich einmalig in der Geschichte der Architektur.

 

 

Kaispeicher B

Ein vergleichbarer Koloss, dem großen Bruder ähnlich. Jedenfalls zur Zeit der Errichtung, also Ende des 19. Jahrhunderts. Der ‚Kaispeicher B‘ liegt an keinem tiefen Hafenbecken oder gar direkt am Fluss. Er ist über den Brooktorhafen zugänglich, der nur von kleineren Schiffen befahren werden konnte. Im Inneren des Lagerhauses wurden ganz unterschiedliche Güter aufbewahrt. Unter anderem Wein in Fässern oder Flaschen, oder auch Rum. Daneben Tabak-Ballen und Tee, beides empfindlich gegen Nässe. Und dann sehr viel Getreide, das in großen Silos gelagert wurde. Die Silos waren deutlich höher als die Etagen und deshalb waren dort keine Böden eingezogen. Das passierte erst später und führte dazu, dass die Geschossdecken nicht auf einheitlicher Höhe sind. Man merkt es im Inneren des Gebäudes, denn immer wieder stößt man auf Zwischen-Geschosse und man sieht es von außen an den unterschiedlichen Höhen der Fenstersimse. 

Der ‚Kaispeicher B‘ wurde zwar aufwendig restauriert, zeigt uns aber noch sein ursprüngliches Aussehen. Eigentlich eine schlichte neogotische Backsteinfassade, die aber kunstvoll gegliedert wurde. Alleine die Staffelgiebel über den Luken sind prachtvoll anzusehen. Als die Anlieferungen ausblieben, weil sich der Container als praktischer und preisgünstiger durchsetzte, brach auch für den ‚Kaispeicher B‘ eine bange Wartezeit an. Die städteplanerische Idee der HafenCity war noch nicht geboren und eigentlich hatte niemand Interesse an großen Lagerflächen in der Speicherstadt. Dann aber erlebte auch der ‚Kaispeicher B‘ seine märchenhafte Verwandlung und Wiedergeburt.

Es gab nämlich doch einen Hamburger, der das nötige ‚Zeug‘ hatte, um sehr viel Fläche damit zu füllen. Es war der Manager und Verleger Peter Tamm, der in Laufe seines Lebens eine gigantische private Sammlung angehäuft hatte. Angefangen hatte es mit einem winzigen Modellschiff, das ihm seine Mutter eines Tages schenkte. Das Interesse war geweckt und gab keine Ruhe, bis schließlich die weltweit größte maritimen Sammlung zusammengetragen worden war. Die wollte Peter Tamm der Hansestadt schenken, wenn man sie in einem Museum für die Öffentlichkeit zugänglich machen würde. Und dazu brauchte man ein passendes Haus. Da kam der ‚Kaispeicher B‘ wie gerufen. Richtige Größe und richtiger Standort. Das Lagerhaus wurde aufwändig renoviert und präsentiert sich heute von seiner besten Seite, mit wertvollem Inhalt. Eine wahre Schatzhöhle voller interessanter Ausstellungsstücke. Ja, ich mag das Museum und bin dort immer wieder gerne zu Besuch. Und die Leidenschaft scheine ich mit Prinz William, dem englischen Thronfolger, zu teilen. Als er während eines Staatsbesuches dort vorbeischaute, schlug das königliche Herz vermutlich etwas schneller als üblich. Man bot ihm nämlich eine Trainingsstunde am Schiffsführungssimulator an. Ein echtes Hightech Gerät, dass die Grenze zwischen virtueller und realer Welt verschwinden lässt. Ich vermute, dass William, der ausgebildete Hubschrauberpilot, kein Problem damit hatte, den Containerriesen korrekt am Kai einzuparken. Dass es ihm Spaß machte, konnte man sehen.