Will man die HafenCity von West nach Ost durchwandern, dann startet man bei der Elbphilharmonie und kommt ca. 40 Minuten später bei dem im Bau befindlichen Elbtower an. Das sind ziemlich genau 3 km Wegstrecke. Geht man von Nord nach Süd benötigt man nur 7 Minuten, denn wir reden über eine Entfernung von 550 Metern. Die Fläche des jüngsten Hamburger Stadtteils wird mit 2,4 km2 angegeben und die letzte Einwohnerzählung (Ende 2023) ergab 7.263 Menschen. Das ist alles recht überschaubar, aber eben auch noch längst nicht alles. Bei Fertigstellung, also in fünf Jahren, plant man mit 14.000 Einwohnern und 45.000 Menschen, die täglich in den Büros, Restaurants und Geschäften arbeiten. Platz ist auch für 10.000 Schüler und Studenten und rund 50.000 Touristen und Kunden, die tagtäglich (!) den Stadtteil beleben werden. Das sind dann durchaus beeindruckende Zahlen, vor allem die ungewöhnliche Mischung von Einwohnern, Berufstätigen und Besuchern. Prompt kommt mir London in den Sinn, genauer gesagt die Square Mile, also der historische Kern der Stadt, der als City of London bekannt ist. Dort dürften vergleichbare Verhältnisse herrschen.
Die HafenCity punktet vielleicht am meisten durch ihre besondere Lage. Vor der Haustür fahren die Schiffe vorbei und gleichzeitig lebt man mitten in Hamburg. Von meiner Haustür sind es keine zwei Kilometer bis zum Hauptbahnhof und gerade mal die Hälfte bis zum Rathausmarkt. Da gehe ich natürlich zu Fuß, obwohl die U-Bahn (Baumwall) auch nur einen Katzensprung entfernt ist. Und wenn ich es mir recht überlege, dann hat sich mein Verkehrsverhalten komplett geändert, seit ich hier lebe. Vorher hatte ich immer ein Auto. Ich brauchte es, um ins Büro zu kommen und um den Einkauf zu erledigen. Bis zum nächsten U-Bahnhof benötigte ich gut zwanzig Minuten Fußweg und bis zum Supermarkt über eine halbe Stunde. Also war das Auto oder wenigstens ein Fahrrad unverzichtbar. Ich fahre leider kein Rad mehr, weil ich mich damit unsicher fühle. Ich kenne einige Nachbarn, die den Drahtesel wieder entdeckten, sobald sie Rentner waren. Einige Wochen später humpelten sie dann mit eingegipstem Bein und beeindruckend blauem Fleck im Gesicht an mir vorbei. Das reichte mir, um es gar nicht erst auszuprobieren. Ich blieb beim Auto. Als ich dann aber in die HafenCity umzog, war ich sofort bereit auch darauf zu verzichten. Die Umstände überzeugen schnell. Es ist kein kostenfreier Parkraum vorhanden. Die wenigen Parkplätze an der Straße können für max. 2 Stunden und 7 Euro gemietet werden. Optimisten, die darauf hoffen nicht erwischt zu werden, kann ich nur raten, es gar nicht erst zu versuchen. Die Polizei und der Abschleppdienst sind hier täglich sehr aktiv tätig. Natürlich gibt es Tiefgaragen, vermutlich so gut wie in jedem Haus. Die Stellplätze sind sehr begehrt, obwohl man mit deutlich mehr als 100 Euro Miete pro Monat rechnen muss. Das war mir zu viel und ich habe es überraschenderweise keinen Augenblick bereut. Es ist tatsächlich so, dass ich ein eigenes Auto nicht länger benötige.
In der HafenCity dominiert der Fußgänger. Kein Wunder, denn Touristen haben meistens kein Auto dabei. Vor allem keine Kreuzfahrt-Reisenden. Wenn also täglich 50.000 Besucher durch den relativen kleinen Stadtteil HafenCity laufen, dann bilden sie mit Abstand die Mehrheit im Verkehr. Wer nicht laufen möchte, mietet ein Fahrrad, einen E-Scooter, einen Roller oder ein Auto. Alles kein Problem und überall sofort zu haben. Auch das Abstellen ist optimal gelöst, denn es gibt deutlich mehr Fahrradständer als Parkplätze. Vielleicht ist das der Grund, warum wir hier kaum Probleme mit den Scootern haben. Sie sind (fast) immer ordentlich am Wegesrand abgestellt.
Wenn mein Ziel weiter entfernt liegt, dann kommt der HVV ins Spiel. Bus- und U-Bahn-Haltestellen erreiche ich bequem zu Fuß und dann habe ich viele attraktive Ziele in einem relativ engen Radius. Egal, ob ich in den Stadtpark oder nach Planten & Blomen will, beides dauert weniger als eine halbe Stunde. Ich benötigte einige Wochen, um mir klarzumachen, dass der samstägliche Einkauf auf dem wunderschönen Isemarkt in Eppendorf für mich ein perfektes Angebot ist. Die U3 bringt mich in 11 Minuten vom Baumwall zur Hoheluftbrücke. Die Fußwege sind minimal. Genauso musste ich beim abendlichen Konzertbesuch umdenken. Am bequemsten ist es natürlich in der Elbphilharmonie, weil ich quasi nebenan wohne. Aber auch die Laeiszhalle oder die Staatsoper am Stephansplatz sind keine Herausforderungen. Den Hinweg mache ich per Bahn, Bus oder sogar zu Fuß und zurück gönne ich mir die Taxe. Weil die Strecke kurz ist, fällt der Fahrpreis moderat aus. Wer am Stadtrand wohnt, wird es sich zweimal überlegen.
Ein öffentliches Verkehrsmittel ist ganz neu in mein Leben gekommen. Ich spreche natürlich von den Hafenfähren. Sie sind preiswert, fahren überraschend oft und bringen einen an die schönsten Orte. Wir alle hoffen, dass die Fähre 72, die nur zwischen Elbphilharmonie und Landungsbrücken pendelt, mit Zwischenstopp in der Arningsstrasse am Südufer, irgendwann einmal verlängert wird. Sie könnte doch noch ein wenig tiefer in die HafenCity eindringen und vielleicht bis zu den Elbbrücken fahren.
Die Autofahrer werden den neuen Stadtteil nicht lieben. Nicht nur die aussichtslose Suche nach einem Parkplatz wird sie nerven (es gibt Parkhäuser, aber teuer), sondern auch die relativ schmalen und verkehrsberuhigten Straßen. Fußgänger haben nicht nur Ampeln, sondern auch Zebrastreifen, die den fließenden Verkehr ausbremsen. Dazu kommen die vielen Busse. Einige befördern Touristen in Rundtouren durch das Stadtgebiet. Andere bringen die Besucher überhaupt erst hierher. Wenn die Kreuzfahrer in Steinwerden und Altona festmachen, rollt die Karawane los. Ein Teil fährt schnurstracks zum Michel, ein anderer zur Alster und schließlich treffen sich alle an der Elbphilharmonie. Sie ist und bleibt Hamburgs Besuchermagnet. Über 3 Millionen Menschen haben 2023 die Plaza besucht. Im Sommer während der Ferien sind es vermutlich weit mehr als 10.000 Gäste pro Tag. Stellen Sie sich vor, die würden bei Ihnen täglich vorbeilaufen, um nebenan einen Rundumblick in luftiger Höhe zu genießen. Und was soll ich sagen, ich finde es wunderbar und schaue ihnen gerne vom Balkon aus zu. Sie stören mich nicht, im Gegenteil, ich finde das Gewusel sehr anregend und bin dankbar nie wieder unter Alleinsein leiden zu müssen. – Die HafenCity ist weder ein Paradies noch der Maßstab aller Dinge. Wenn ich es mir leisten könnte, hätte ich gerne meine Wohnung hier, dazu ein Häuschen am Stadtrand und vielleicht noch eine nette Altbauwohnung in Eppendorf oder Winterhude. Oder ein Ferienhaus am Ostseestrand. Oder, oder, oder … Ich wurde in Hamburg geboren und habe mein ganzes Leben hier verbracht. Ich kam in Winterhude zur Welt, wohnte in Wandsbek und Rahlstedt, kenne Langenhorn und das wohlhabende Volksdorf. Die Wohnungen waren schön, die Nachbarn oftmals nett und die Umgebung grün, mit sauberer Luft. Die HafenCity lässt sich mit keinem der Orte vergleichen. Sie ist etwas ganz Neues, manchmal eine Herausforderung, aber noch immer spannend und aufregend. Als ich mich zu dem Umzug entschied, hatte ich Bammel. Wird das gut gehen? So mitten in der Stadt, nahe am Hafen, wo gearbeitet wird, wo es laut ist und die Luft nicht immer frisch riecht? Nach fast eineinhalb Jahren kann ich sagen, dass es gut gegangen ist. Sogar so sehr, dass ich mich fast jeden Tag nach dem Aufwachen ehrlich darüber freue, dass ein weiterer spannender Tag mit vielen Überraschungen vor mir liegt.
PS: Ich bin Rentnerin und lebe alleine. Zu meiner Überraschung gibt es offensichtlich viele Damen und Herren, ebenfalls Rentner, denen es ähnlich geht und die nun alle in meiner Nachbarschaft leben. Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet und es ist mir ein mehr als willkommener Bonus, denn man findet schnell netten Kontakt. Übrigens will ich morgen ein paar Besorgungen machen. Ich werde die Geschäfte in der Mönckebergstraße besuchen und natürlich gehe ich zu Fuß. Auf dem Rückweg kann ich noch irgendwo eine Kleinigkeit essen. Das wird bestimmt nett werden. Und was haben Sie so geplant?