Bewahren oder erneuern?

Obwohl mich meine heutige Fototour durch die Hamburger Altstadt führte, fange ich mal ganz woanders an, nämlich in London. Dort erfuhr ich erst vor Ort von den massiven Luftangriffen der Deutschen Wehrmacht. Gleich zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde die Londoner Innenstadt monatelang bombardiert und teilweise in Schutt und Asche gelegt. Als Besucher merkt man es nicht, denn eigentlich sieht es überall sehr geschichtsträchtig aus. Von Westminster über Covent Garden bis zum Tower, der unmittelbar an der östlichen Grenze der City of London steht, erblickt man auf Schritt und Tritt prachtvolle alte Häuser. Ich wusste schon vor meinem Besuch, dass der Engländer sehr konservativ reagiert, wenn es um Modernisierung geht. Bloß keinen Neubau, schon gar nicht aus Beton oder mit einer Glasfassade, stattdessen wählt man den oft kostenintensiven Weg der Restaurierung. Eine Ausnahme war das Southbank Center, das unmittelbar am Südufer der Themse errichtet wurde, auf einer alten Hafenfläche, die schon lange brach lag. Ein Museum, ein Theater, ein Konzerthaus und andere kulturelle Angebote sollten dort einen neuen gemeinsamen Platz haben. Bei der feierlichen Eröffnung machte der damalige Thronfolger Prinz Charles einige ätzende Bemerkungen. Er fragte ganz verschmitzt, ob es sich bei dem Betonbau um ein neues Atomkraftwerk handeln würde? Inzwischen ist er längst der König der Briten und zieht es vor dort zu bleiben, wo er immer schon wohnte. Im Clarence House, das 1828 erbaut wurde und keineswegs protzig wirkt. Drinnen nett eingerichtet, aber mit den traditionellen Schiebefenstern ausgestattet, denen jegliche Dämmung fehlt. Es zieht immer, egal ob Sommer oder Winter. 

 

 

Anmerkung: Die Bombenangriffe während des Zweiten Weltkrieges werden in London ‚The Blitz‘ genannt.

Warum erzähle ich das alles? Weil es mir scheint, dass die Engländer so ganz anders mit den Dingen umgehen, die sie von den Vorvätern übernommen haben. Hamburg war nach dem Krieg sicherlich noch stärker als London zerstört, stand aber grundsätzlich vor demselben Problem. Wollen wir die Stadt inklusive des Straßennetzes neu erfinden oder bauen wir alles wieder so auf, wie es gewesen war? Die Hamburger Stadtentwickler entschieden sich für den radikalen Neuanfang und die Londoner gingen den anderen Weg. So kommt es, dass ich mich in London immer von der Geschichte umgeben fühle, in Hamburg aber Mühe habe, noch irgendeinen baulichen Zeitzeugen zu finden.

 

 

Mir fiel ein, dass ich gleich um die Ecke in den Straßen Grimm und im Steckelhörn schöne alte Haustüren gesehen hatte. Das scheint inzwischen gängige Praxis zu sein, dass man wenigstens einen kleinen Rest bewahrt, bevor der Abriss beginnt. Der Eingang bietet sich an, denn der wurde besonders aufwendig und kunstvoll gestaltet. Noch heute ist die Haustür die Visitenkarte jedes Büros. Die Rezeptionen sind dekorativ aufwendig gestaltete Räume mit erlesenem Mobiliar und geschult freundlichem Personal hinter dem Tresen. Auf den zahlreichen Baustellen in Hamburgs Innenstadt (z.B. das Nikolai Quartier) habe ich oftmals am Rande der großen Baugruben ein gut verpacktes altes Portal gesehen. Man versucht es in einem Stück zu bergen und wird es später in die Fassade des Neubaus einpassen.

 

 

Die Hamburger Altstadt ist flächenmäßig so klein, dass man sie schnell durchqueren kann. Ich glaube nicht, dass mir viele Gebäude entgangen sind, wenn auch manches Haus noch versteckte Höfe hat, die entdeckt werden wollen. Die Kirchen in und rund um die Altstadt wurden alle wieder aufgebaut. St. Nikolai ließ man als Mahnmal stehen. Oft erkennt man in der Fassade die Linie zwischen alten Gemäuern und den neuen Steinen. Natürlich ist das ursprüngliche Mauerwerk stets im unteren Bereich zu finden. Paläste hatte Hamburg nie gehabt, denn man verkaufte grundsätzlich kein Land an den Adel. Die wohlhabenden Kaufleute verbrachten den Sommer gerne im Grünen und bauten ihre Villen deshalb in den Vororten an der Elbe, Bille und Alster. Ihre Kontore und Speicher überstanden teilweise Brand- und Kriegsschäden und zählen heute zum UNESCO-Welterbe. Die Grundsteinlegung in der Speicherstadt fand 1883 statt und das Kontorhausviertel entstand rund 40 Jahre später. Wirklich alt ist das nicht und selbst das Hamburger Rathaus, das so prachtvoll anzusehen ist, wurde erst 1897 fertiggestellt. Wer lieber tiefer in die Geschichte eintauchen möchte, dem empfehle ich eine Reise nach London: Lambeth Palace um 1200 errichtet, Banqueting House um 1620, Buckingham Palace 1703 und der Tower ab 1078. Aber Vorsicht, nicht alles ist so alt, wie es aussieht. Die Tower Bridge, die sich architektonisch nahtlos an die gleichnamige Festung anschmiegt, wurde erst 1894 eröffnet und ist damit fast so jung wie unser Rathaus.