Davidstraße (St. Pauli)

Der Mieter, an der Ecke zum Spielbudenplatz, hat die Davidstraße bundesweit bekannt gemacht. Dort findet man nämlich das Polizeikommissariat 15, besser bekannt als Davidwache. Regelmäßig kamen Film- und TV-Leuten vorbei, die den Ort immer sehr inspirierend fanden. Schon Jürgen Roland drehte hier seine Krimis und später folgte Wolfgang Staudte mit seiner Film-Crew. Dann kam das Fernsehen und nahm sich die bekannteste Hamburger Wache zum Vorbild. Die Serien ‚Großstadtrevier‘ und ‚Notruf Hafenkante‘ basieren auf der Arbeit, die hier tagtäglich geleistet wird. Ich war seit Jahrzehnten nicht mehr auf der Reeperbahn, die vor der Haustür der Polizei entlang läuft. Einige Besuche im Schmidts Theater will ich nicht zählen, denn damals haben wir anschließend keinen Bummel über die sündige Meile gemacht. Es wurde also für mich höchste Zeit wieder einmal die Reeperbahn aufzusuchen. Mein abendlicher Rundgang startete auf den Landungsbrücken. Von dort geht man flussabwärts bis zum Ende des Pontons und muss dann nur noch die viel befahrene St. Pauli Hafenstraße queren, um in die Davidstraße zu gelangen. Ein einfacher, aber ziemlich beschwerlicher Weg. Grund ist die Eiszeit vor gut 10.000 Jahren. Beim Rückzug hat sie ein breites Stromtal hinterlassen, dem noch heute, zumindest teilweise, der Elbverlauf folgt. Etwa von Wedel bis zur HafenCity ist das Nordufer noch immer die steile Geestkante, die damals vom Eis und Geröll in den Boden gefräst wurde. Und das bedeutet, dass man erst einmal gut 30 Höhenmeter überwinden muss, wenn man vom Flussufer zur Reeperbahn will. Das hat mich sehr an London erinnert, denn dort trifft man auf gleiche Verhältnisse am Themseufer. Wer die Schleichwege nicht kennt, wird mehrmals steile und nicht endende Treppenanlagen rauf- und heruntergehen.

 

 

Und noch eine Parallele zu London entdecke ich in der Davidstraße. Hier werden nämlich die Häuser in ganz ungewohnter Weise nummeriert. Normalerweise finden wir in Hamburg alle geraden Zahlen auf der einen Seite und ungeraden Nummern gegenüber. In der Davidstraße macht man es wie in London. Die Häuser werden auf einer Seite fortlaufend nummeriert und dann geht es auf der anderen Straßenseite weiter. So liegt dann das Haus mit der Nummer 3 vis-à-vis von Nummer 46. 

Den Fotoapparat halte ich möglichst unauffällig in der Hand. Hier könnten Fotos unerwünscht sein. Immerhin zweigt die bekannte Herbertstraße von der Davidstraße ab. Beidseitig versperren hohe Holzwände den Blick in die Straße. Dahinter arbeiten gut 250 Prostituierte. Sie sitzen auf Hockern in Schaufenstern und bieten Männern ihre Dienste an. Ich bin ganz froh, das nicht sehen zu müssen, denn ich kann mich mit der ‚Geschäftsidee‘ nicht anfreunden. Auf der Davisstraße stehen junge, hübsche Frauen, die ihre Dienste anbieten, indem sie vorbeigehende Männer direkt ansprechen. Ich gehe unbehelligt weiter, benehme mich aber bewusst diskret. 

Hinten ist schon die Reeperbahn zu sehen. Einige dutzend Motorradfahrer machen einen Höllenlärm. Sie kehren wohl von einem Tagesausflug zurück und lassen ihre starken Motoren dröhnen. Man spürt das Vibrieren in der noch immer heißen Luft am Sommerabend. Ein Spektakel, das in dieser Gegend ziemlich normal ist. An der Ecke steht das Haus mit dem blauen Polizeischild. Die berühmte Davidwache. Gleich daneben das St. Pauli Theater, dass ursprünglich Ernst Drucker Theater hieß und dessen Name noch immer an der Fassade zu lesen ist. Er war einer der ersten Besitzer und heute darf sich das Haus als ältestes Privattheater in Hamburg bezeichnen. 

Mich zieht es erst einmal zur Grillstation, die eine wirklich riesige Bratwurst als Take-Away anbieten. Genau das brauchte ich, denn ich hatte nur ein kleines Mittagsessen und das viele Laufen macht hungrig.

 

 

Die Sonne ist längst untergegangen, aber das abendliche Zwielicht hält noch eine ganze Weile an. Dann beginnt aber doch rasch die Nacht und der Himmel wird rabenschwarz. Das Fotografieren wird dadurch kompliziert, denn mir fehlt die technische Ausstattung, um die Situation zu meistern. Ich gehe die Reeperbahn entlang, sehe manchmal das hell erleuchtete Riesenrad vom Sommerdom, der seinen letzten Tag feiert, bevor alles wieder eingepackt wird. Eigentlich wollte ich dort noch hin, denn der Vergnügungspark ist in allernächster Nähe zur Reeperbahn untergebracht, aber ich bin zu müde. Das Café Keese, das Treffpunkt für Generationen war, scheint für immer die Tore geschlossen zu haben. Das ganze Haus liegt im Dunkel und fällt gerade dadurch auf. Links und rechts blinken Neonlichter, nur im Tanzlokal ist es stockfinster. Ich biege jetzt ab, will möglichst schnell zurück ins Hotel. Das Licht in der Turmkuppel von St. Michaelis dient mir als Leuchtturm, denn mein Hotel liegt gleich daneben. Ich nehme eine Abkürzung durch eine Parkanlage, kann den Michel plötzlich nirgends mehr sehen, verlaufe mich gründlich und tappe etwas ängstlich durch menschenleere Straßen mitten in St. Pauli. Aber alles halb so schlimm. Manchmal kommen mir Anwohner entgegen, die ihren Hund noch Gassi führen. Ansonsten ist alles erstaunlich still und friedlich. Nun ja, auch hier leben Hamburger, die ihren Schlaf brauchen und die bunte Nachbarschaft bestimmt sehr genießen.

Übrigens wurde die Davidstraße nicht nach einem Heiligen benannt. Ich hatte es mir so ausgemalt und lag falsch. Damals, Ende 18. Jahrhundert, hatten die staatliche Obrigkeit beschlossen, neue Straßen nach männlichen Vornamen zu benennen. Immer schön der Reihe nach, von Anton bis zu Zacharias. So hatte man es auch schon früher gemacht, als die Wallanlagen errichtet und die Vornamen der Senatoren für die Verteidigungstürme genutzt wurden. Und so fing man in St. Pauli mit der Antonistraße an, kam irgendwann zur Davidstraße, benutzte Erich und Friedrich und landete schließlich bei der Heinrichstraße. Aus der wurde später die Herbertstraße, aber warum das geschah ist mir bisher unbekannt. Vielleicht finde ich es heraus und dann liefere ich es nach. Oder falls Sie es wissen, dann schreiben Sie mir doch mal. Das würde mich freuen.

 

Mein Rundgang vom Hafen über die Davidstraße, Reeperbahn und zurück zum Michel

Die rote Linie zeigt meinen Weg, die blaue Linie das Zuständigkeitsgebiet des Polizei Kommissariats 15, bekannt als David-Wache. 

 

Quelle: Fachkarte ‚Polizeikommissariate Hamburg‘, Stand 2018, © FHH, LGV, www.geoinfo.hamburg.de