Das Levantehaus

In der Endphase des Mittelalters zog der junge Mann von Welt wenigstens einmal im Leben in die Levante. Damit waren die Länder am östlichen Mittelmeer gemeint. Das Wort ‚levante‘ stammt aus dem Italienischen und bedeutet so viel wie ‚der Sonne entgegen‘. Und genau das war die Reiseroute: von Deutschland mit dem Pferd über die Alpen bis ans Meer und dann mit dem Schiff immer ‚gen Osten segeln. Heute würde niemand mehr von der Levante sprechen, allerdings sind diese Länder auch längst aus den Reisekatalogen verschwunden. In Hamburg aber hat der Begriff überlebt und wird von den meisten Bewohnern mit der gleichnamigen Ladenpassage an der Mönckebergstraße verbunden. Eine überdachte Einkaufsmeile für den gut gefüllten Geldbeutel. Und als Bonus für Groß und Klein die erste und einzige (?) Steiff Galerie mit Riesen-Teddy gleich am Eingang.

Eigentlich war das Levantehaus ein Bürogebäude. Ein sogenanntes Kontorhaus, erbaut vom Architekten Franz Bach. Es besteht aus zwei großen Gebäuden, beide parallel zur Mönckebergstraße und wird durch die heutige Ladenpassage verbunden.

Von der Mönckebergstraße aus sieht man von den Läden, die sich über zwei Geschosse erstrecken, so gut wie gar nichts. Die beiden schlichten Eingänge kann man schnell übersehen. Sie sind eigentlich nur ein langer Flur, der am Ende in die Ladenpassage führt. Aber sobald man sie betritt, fühlt man sich in eine andere Welt versetzt. Wände und Decken werden von exotischen Tieren geschmückt. Geparden, Affen und Elefanten klettern an den Wänden hoch. Sie sind wohl die Boten des vorderen Orients, der hier mitten in Hamburg beginnt.

 

Gepard, Elefant und Affe klettern auf den Balkon über dem Haupteingang. Bei dem Primaten handelt es sich ohne Frage um ein männliches Tier. – Links einer der beiden Eingänge in die Einkaufspassage.

 

Als ich die Tiere über der Eingangstür entdeckt hatte, wurde ich neugierig, was mich im Inneren des Hauses erwarten würde. Zu meinem Glück, genau das, was ich mir erhofft hatte. Auch dort sind etliche lebensgroße Tierfiguren zu sehen. Sie stehen nicht brav nebeneinander, nein, auch sie klettern höchst lebendig herum. Statt Treppe oder Rolltreppe zu nutzen, haben sie sich für den kürzesten Weg zum Obergeschoss entschieden. Sie hangeln sich einfach über das Geländer. Setzt man sich dort auf einen der Stühle, dann kann man einem großen Bären direkt in die Augen sehen. Sehr unterhaltsam und unbedingt eine Kaffeepause wert. 

 

 

Die Tiere sind wohl nicht alle im Orient heimisch, oder? Einen Tiger und ein paar Ungeheuer, darunter ein riesiger Krake, konnte ich entdecken. Mit scheint, der Künstler hat mit viel Witz gearbeitet und damit liege ich richtig. Eigentlich hätte ich von selbst darauf kommen können, der Bildhauer ist ein Engländer, sein Name lautet Barry Baldwin. Er ist ein sehr erfolgreicher Mann aus Staffordshire.

Gleich im Eingangsbereich des Levantehaus kann man ein geschlossenes Treppenhaus betreten, das einen direkt in das Obergeschoss der Ladenpassage führt. Die meisten Besucher werden sich erst einmal die Läden im Erdgeschoss ansehen und dann die offenen Treppen nach oben nutzen. Aber es lohnt sich das Treppenhaus anzusehen, denn dort sind u.a. die ehemaligen Paternoster zu finden. Der einfache, aber geniale Aufzug, ohne Wartezeiten, darf aus Sicherheitsgründen längst nicht mehr fahren, aber man hat die Kabinen vor Ort belassen. Jetzt sind sie verglast und dienen als Schaufensterräume. Ich kann mich noch gut an die fahrenden Paternoster erinnern, die ich als Kind immer mit sehr gemischten Gefühlen betrachtete. Irgendwie waren sie mir nicht geheuer und die Angst war stets groß, dass ich den Ausstieg nicht rechtzeitig schaffen würde. Ich hatte wildeste Vorstellungen, was mich im Dach bzw. Keller erwarten würde. Außerdem war ich fest davon überzeugt, auf der Rückfahrt kopfüber fahren zu müssen. 

 

 

Wieder zu Hause habe ich über die Geschichte des Levantehaus nachgelesen. Ich kann mich noch daran erinnern, als die Fassade den Schriftzug ‚Philips‘ trug. Das muss in den Sechzigerjahren gewesen sein, denn damals hatte die Firma hier ihre Deutschlandzentrale. Ich selbst habe übrigens fast fünf Jahre lang im Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite gearbeitet, im sogenannten Barkhof. Damals hat mir das alles wenig bedeutet und ich habe kaum etwas von der Kultur und Geschichte der Innenstadt wahrgenommen.

Das Levantehaus wurde 1912 erbaut. Die ersten Mieter, oder vielleicht auch Eigentümer, waren Kaufleute und Reeder. Darunter die Deutsche Levante Schiffahrts-Linie. Wahrscheinlich war sie die Namensgeberin. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Haus von Bomben zerstört. Aber einige Jahre später wurde es vom Sohn des Architekten weitgehend original wiederaufgebaut. Schon 1950 zogen wieder Mieter in die Büroräume ein. Dann, am Ende des Jahrhunderts, drohte Leerstand. Es gab zu viele Büro-Neubauten in Hamburg und so entwickelte man einen komplett neuen Nutzungsplan für das Levantehaus. Aus dem ehemaligen Kontorhaus, das schon immer einige Läden im Erdgeschoss beherbergte, machte man nun ein Hotel mit einer zweigeschossigen Ladenpassage im Innenhof. Der Plan und das Managementkonzept gingen auf. Die Passage gehört zu den schönsten in Hamburg. Sie ist klein, hanseatisch gediegen und bietet immer wieder Raum für kulturelle Veranstaltungen aller Art. Die meisten sind von besonderer Qualität und haben ihr Stammpublikum. Kurzum, das Haus hat einen guten Ruf. Und genau das ist es, was ein Hamburger Kaufmann anstrebt. Denn es ist der gute Ruf, der ihm den nötigen Kredit verschafft. Sowohl bei den Lieferanten als auch bei der Kundschaft.

 

 

Eine Anmerkung muss ich unbedingt noch loswerden. Ich hoffe, ich kann Sie ein wenig mit meinen oft etwas merkwürdigen Gedankengängen überraschen. Jedenfalls passierte es mir auch im Levantehaus, sobald ich den Schriftzug von ‚Abercrombie & Fitch‘ entdeckt hatte. Ein Fachgeschäft für stylische Freizeitkleidung. Ich brachte den Namen aber irgendwie mit etwas anderen in Verbindung, was auch mit der Freizeit zu tun hat. Klingelt es schon bei Ihnen? Nein? Gut, dann mal anders herangetastet. Kennen Sie Roger Willoughby? Ich bin mir sicher, dass Sie den Namen schon gehört haben, denn der Mann ist äußerst attraktiv. Einmal gesehen, vergisst man ihn bestimmt nicht mehr und das hat wohl damit zu tun, dass Roger Willoughby im realen Leben Rock Hudson hieß. Er spielte in dieser Rolle einen Fachverkäufer für Sportangeln in New York. Der Film hieß ‚Ein Goldfisch an der Leine‘ und ist auch beim wiederholten Ansehen ein ziemlich komisches Werk. Ich jedenfalls kann mich jedes Mal amüsieren, wenn Roger versucht einen Fisch an Land zu ziehen. Das Sportgeschäft für Angler gab es wirklich und es hieß ‚Abercrombie & Fitch‘. Damals konnte man das noch problemlos im Film zeigen, niemand empfand es als unlautere Werbung. Tatsächlich handelt es sich auch bei der Filiale im Levantehaus um dieselbe Ladenkette, die inzwischen ihr Sortiment erweitert hat. Also einfach mal hereingehen, wer weiß, vielleicht haben die noch heute so gut aussehende Verkäufer wie in den Sechzigerjahren?