Traditionsschiffhafen

Ein sperriges Wort und deshalb nutze ich lieber den alten, ursprünglichen Namen, nämlich Sandtorhafen. Einst war er der modernste Liegeplatz im Hamburger Hafen, denn hier konnten die Frachtschiffe direkt am Kai festmachen. Das sparte viel Zeit und damit Geld. Vor der Eröffnung (1866) lagen die Schiffe mitten im Strom und entluden ihre Fracht erst einmal auf Ewer und Schuten, die dann den Kaispeicher ansteuerten, wo ein zweites Mal entladen werden musste. Für die Beladung galt natürlich derselbe, in der Reihenfolge umgekehrte Ablauf. Den Sandtorhafen hatte man tief ausgebaggert und die Kaimauern fielen senkrecht bis auf den Grund ab. Deshalb war es nunmehr auch großen Schiffen möglich, selbst an der Kaimauer anzulegen. Die Be- und Entladung wurde von Kranen durchgeführt, die die Ware direkt auf die Waggons der Hafenbahn oder in die Speicher verteilen konnten. Damit war ein neuer, revolutionärer Warenumschlag erfunden, der schon bald, wo immer möglich, kopiert wurde. Man darf deshalb den Sandtorhafen als Keimzelle des modernen Hafenbetriebs bezeichnen.

Die alten Krane wurden restauriert und stehen noch heute auf dem Kaiserkai. Das Hafenbecken wurde um ein gutes Stück gekürzt. Man hat das hintere Bassin zugeschüttet, um Bauland für die HafenCity zu bekommen. Früher reichte der Sandtorhafen bis zum Magdeburger Hafen. Die Brücke am Ende blieb erhalten und steht noch heute. Sie führt am Kaispeicher B entlang, der aktuell die Schiffssammlung von Peter Tamm beherbergt. 

 

Ausschnitt aus einer Karte von 1938. Damals herrschte auf dem Grasbrook, wo heute die HafenCity steht, noch Hochbetrieb. Die Speicherstadt und viele kleine Schuppen lagerten die Ware aus aller Welt.

 

Der Rest des Sandtorhafens trennt nach wie vor den Sandtorkai vom Kaiserkai. Auf beiden Landzungen, die auf der Karte wie Finger aussehen, wurden moderne Häuser gebaut. Es waren die ersten Gebäude der HafenCity. Die Nutzung ist durchmischt. Neben Büros finden sich Wohnungen und im Erdgeschoss Geschäfte und Restaurants. Den Planern war es wichtig, dass der neue Stadtteil zu allen Jahreszeiten belebt ist. Das erreicht man nur mit einem attraktiven Angebot, das Besucher anzieht. Ein Magnet ist die Elbphilharmonie, im ehemaligen Kaispeicher A, am Kopf der Landzunge. Am anderen Ende des Sandtorhafens wurde eine Terrasse gebaut, die reichlich Platz und Sitzgelegenheit zum Ausruhen bietet. Und den Grund für eine Pause lieferte man gleich mit, indem man dem Sandtorhafen einen neuen Zweck widmete. Er sollte Heimathafen für alte Traditionsschiffe werden. Dafür wurde eine Pontonanlage gebaut, die sich auf fast ganzer Länge durch das Hafenbecken zieht. 

Eine überzeugende Idee, die allerdings nur dann funktioniert, wenn genügend attraktive Schiffe dort zu sehen sind. Und das scheint inzwischen gut zu funktionieren. Als vor einigen Monaten die ‚Seute Deern‘ ihren Liegeplatz verließ, war die Lücke unübersehbar. Der schmucke, allerdings in die Jahre gekommene, Ausflugsdampfer dominierte allein durch seine Größe. Inzwischen sind die Liegeplätze am Ponton wieder gut gefüllt. Viele alte Segelschiffe haben hier festgemacht. Manche auf Dauer, andere sind Gäste auf Zeit. Zwei Feuerlöschboote liegen ständig im Sandtorhafen und laden sogar zur Mitfahrt ein. Geregelt und organisiert wird das alles vom Hafenmeister, der sein Büro auf dem Ponton hat und jede Frage beantworten kann. Außerdem öffnet er die Brücke zum Elbstrom, wenn ein größeres Schiff ein- oder ausläuft. Das ist übrigens eine ehrenamtliche Arbeit, und jeder, der helfen möchte, ist willkommen.

 

 

Am Sandtorhafen konnte ich im letzten Jahr miterleben, wie komplex eine lebendige Urbanität gestrickt sein muss, damit sie funktioniert. Die Basis sind die Schiffe. Sie sollten attraktiv sein, um Besucher anzulocken. Wenn ihnen der Ort gefällt, möchten sie verweilen und suchen einen geeigneten Platz. Da bieten sich die Liegestühle der Fischbrötchen-Bude an, wo man auch gleich einen Becher Kaffee bekommt. Und dann klappt es auch für ein größeres Restaurant, weil genug potenzielle Gäste vorhanden sind, um wirtschaftlich zu funktionieren. Am Anfang braucht es Geduld, Mut und Zuversicht, wenn dann aber die vielen großen und kleinen Zahnräder nahtlos ineinander greifen, dann ist etwas Wichtiges gelungen. Dann wurde einem Ort Leben eingehaucht und nun kann er wachsen und selbstständig gedeihen.

 

 

Ich freue mich, am Sandtorhafen zu wohnen. Das Wasser ist ein lebendiges Element und lässt den Hafen jeden Tag anders aussehen. Die Oberfläche spiegelt den Himmel und sieht deshalb in jeder Minute anders aus. In sonnigen Stunden glitzert und funkelt es. Dann vermittelt der Anblick schnell gute Laune beim Betrachter. Das Gegenteil kann auch eintreten, eine graue, zäh fließende Masse, die nicht ’sprechen‘ will und sich jeder Art von Reflexion verschließt. Und schließlich gibt es noch die Abendstunden, wenn die Lichter in den Fenstern zu sehen sind und das Wasser tanzend, deren Magie reflektiert. Wasser ist ein Element, das sich mir lange nicht erschlossen hatte. Als Kind hatte ich Angst vor Wasser, obwohl ich schon in jungen Jahren eine gute Schwimmerin war. Es lag wohl vor allem daran, dass dem Wasser die sprichwörtlichen Balken fehlen und das verursacht bei mir Unsicherheit. Ein fester Boden unter den Füßen ist mir deutlich lieber. Aber inzwischen gefällt mir das Element Wasser immer besser. Noch habe ich es längst nicht verinnerlicht, aber es hat viel zu erzählen und ich höre meistens gerne zu. Ich bin gespannt, was ich noch alles von ihm lernen kann.